Neokolonialismus: Was White Supremacy mit uns zu tun hat

Unser Instagram gestern war schwarz: #blacklivesmatter und #blackouttuesday sind viral gegangen und haben eindrucksvoll für weltweite Aufmerksamkeit gesorgt. People Of Color und Schwarze sind müde: Die Ermordung George Floyds durch die Polizei in den USA vergangene Woche war kein Einzelfall, sondern ein Teil systematischer Gewalt gegen Schwarze, wie es sie seit Jahren und Jahrzehnten gibt. Auch wenn sich das erstmal anhört, als wären wir nicht direkt von diesem Diskurs betroffen, ist auch der Rassismus in der US-amerikanischen Polizei nur ein Symptom von einem weltweiten Phänomen. Nur, was hat das mit der Nachhaltigkeitsdebatte zu tun? Einiges. Denn ob wir wollen oder nicht, alles, was wir tun, operiert in dem System von White Supremacy: Strukturelle weiße Vorherrschaft.

Koloniale Vergangenheit

Rassismen haben über die koloniale Vergangenheit hinaus überdauert. Kolonialismus – diese Ära, in der viele Länder des globalen Südens, aber insbesondere Afrika, unter europäischen Imperien – hauptsächlich Großbritannien und Frankreich, aber auch Portugal und Deutschland – aufgeteilt wurde. Menschen und Kontinent wurden dann ausgebeutet, um sich die Ressourcen desselben zu eigen zu machen.

Dabei geht der erste Völkermord im zwanzigsten Jahrhundert auf die Deutschen zurück: Die Herero und Nama im damaligen Deutsch-Westafrika und heutigem Namibia, wurden brutal und systematisch hingerichtet. Die deutschen Kolonialherren fühlten sich ihnen überlegen, behandelten sie auch so.

Hören wir davon in der Schule? Wenig bis keine Worte. Dabei ist Deutschlands koloniale Vergangenheit genauso existent, wie die britische oder französische, wenn auch kürzer. Denn Deutschland musste nach dem verlorenen ersten Weltkrieg die Kolonien an Großbritannien abgeben.

Der rassistische Dualismus aus die Guten und Zivilisierten und die Schlechten und Unzivilisierten aus diesen Zeiten ist noch immer präsent. Und er äußert sich auch in den wirtschaftlichen Seiten unserer derzeitigen Welt. Insbesondere Strukturen der internationalen Agrarwirtschaft sind noch immer rassistisch geprägt, wenn auch in anderer Ausführung. Neokolonialismus wird das genannt: Geopolitisches Taktieren um Einfluss und Ressourcen und implizite Abhängigkeiten statt offener Gewalt.

Handelsbeziehungen zwischen Europa und Afrika

Afrika, der Kontinent, der eine enorme Zahl natürlicher Ressourcen besitzt. Und dennoch ist er ökonomisch gesehen arm – in der Wissenschaft heißt das Paradox of Plenty: Afrika besitzt 42 Prozent des weltweiten Bauxits, 38 Prozent des Urans, über 40 Prozent des weltweiten Gold-Aufkommens, 73 Prozent des Platins und 88 Prozent der Diamanten. Trotzdem haben über vierzig Prozent der Bevölkerung Subsahara-Afrikas weniger Geld am Tag zur Verfügung, als was 1.90 Dollar in den USA wert ist. (Carmody 2016, S. 1).

Die Europäische Union ist einer der wichtigsten Handelspartner für afrikanische Länder. Und wie die USA und auch China hat Europa ein riesiges Interesse an eben jenen Ressourcen – und nutzt die Armut der Staaten aus, um an sie heranzukommen. Das politische Abkommen, das der EU dazu verhilft, sind die EPAs, die European Partnership Agreements zwischen der EU und Clustern aus afrikanischen Ländern. Die EU reagiert damit auf die wachsende Präsenz Chinas in afrikanischen Ländern, die schon länger liberale Handelsbeziehungen führen. Die EU möchte das auch: Ein wichtiger Handelspartner Afrikas bleiben. Unter den Stichworten Reziprozität, also Gegenseitigkeit und nachhaltiger Entwicklung wurden die EPAs ausgehandelt.

Handelspartner auf Augenhöhe – kann das funktionieren?

Offene Handelsbeziehungen, zollfreie Waren. Klingt gut und richtig. Das Hauptproblem ist allerdings, dass die EPAs lokale instabile Industrien weiter zerstören. Zollfreie, billige und vor allem stark subventionierte Waren und Agrarprodukte aus europäischen Ländern sind mittlerweile für afrikanische Käufer oft günstiger, als in afrikanischen Ländern produzierte. Folglich kaufen viele Leute vor Ort die europäischen Güter und nicht die lokalen.

Und leider lässt sich die Problematik der unkontrolliert offenen Märkte auch umdrehen: Neunzig Prozent einiger bestimmten Schalentiere aus dem Ozean des südlichen Afrika werden nach China exportiert, da dies mehr Geld bringt, als die Ressource der eigenen Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Dabei sind Meeresfrüchte wichtige Proteinquellen auf diesem Kontinent, auf dem viele Leute Hunger leiden (Carmody 2016, S. 12). Ähnlich sieht es bei Wasser, Bioethanol und Schnittholz aus.

Strukturelle Benachteiligung und Klimawandel

Vieles, was wir hier konsumieren, wird im asiatischen Raum gefertigt. Und viele der Rohstoffe kommen wegen der billigen Marktpreise aus Afrika. Ein besonders großes Problem sind dabei Möbel mit Holzelementen. Waldrodung auf dem afrikanischen Kontinent liegt bei vier Millionen Hektar im Jahr – das ist doppelt so hoch, wie der weltweite Wert (Carmody 2016, S.182). Dabei ist auf einem Kontinent, der vom Äquator geteilt wird und wo Dürren mit dem Klimawandel häufiger werden, jeder einzelne Baum wichtig, um Feuchtigkeit zu bündeln.

Und natürlich hört es da nicht auf: Wichtig, um die Klimaziele zu erreichen, sind regenerative Energiequellen. Oft werden deshalb Biodiesel und Ethanol ins Gespräch gebracht, also Diesel aus Raps oder Maniok. Oder für viele ärmere Leute: Diesel aus Essbarem. „If the United States are serious about biofuels they must turn to the South for their supplies“ hat John Mathews 2007 gesagt (S. 3550). Freihandelsabkommen ermöglichen dies: Aus dem Süden Lebensmittel wie Maniok importieren, aus denen Bioethanol gewonnen werden kann. Maniok dient allerdings vielen Leuten in Afrika als wichtiges Grundnahrungsmittel.

Was können wir tun?

Einmal mehr heißt es: Lokal einkaufen und hinterfragen, woher Konsumgüter, mit denen wir uns umgeben, stammen. Wenn strukturelle und globale Abhängigkeiten sich immer weiter wirtschaftlich verstricken, dann werden individuelle rassistische Anfeindungen in solchen Systemen kultiviert: Nachhaltige Entwicklung ist das nur auf dem Papier. Was die europäische Union unter dem Deckmantel liberaler Handlungsbeziehungen betreibt und wir durch unseren Konsum unterstützen, ist, dass Länder des globalen Südens, und Leute die mit diesen assoziiert werden, klein gehalten werden: Das ist White Supremacy. Dadurch sterben täglich viele Menschen.

George Floyds Tod hätte nicht passieren dürfen. Und genauso wenig dürfen es diejenigen, die stetigem Wirtschaftswachstum zum Opfer fallen. Das ist kein Whataboutism. Denn beide Beispiele sind Teil globaler Strukturen. Und beide müssen wir angehen – jeden Tag. Und andere uneingeschränkt mitnehmen und denen zuhören, die betroffen sind. Auch – und erst recht – über den #blackouttuesday hinaus .

Ressourcen:

Literatur:

The New Scramble for Africa: Padraig Carmody

Me and White Supremacy – Layla F. Saad

Orientalism – Edward Said

Black Skin White Masks – Frantz Fanon

So you want to talk about race – Ijeoma Oluo

Why I’m No Longer Talking to White People About Race: The Sunday Times Bestseller – Reni Eddo-Lodge

Dokumentationen, Serien & Filme:

When They See Us

13th

Malcom X

Dear White people

I am Not your Negro

Instagram:

@laylafsaad

@kendriana.speaks

@blklivesmatter

@ckyourprivilege

IGTV von @mspackyetti

@eyeofthemountain Google Sheets zu Ressourcen, Filmen, Dokumentationen, Spenden, Büchern

Header: Avel Chuklanov

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