ERIKA MAYR — MACHT BIENEN GLÜCKLICH IN BERLIN

Im Kraftwerk Mitte dröhnt der Bass. Nachts wird der Club „Tresor“ beschallt, tagsüber fast jeden Tag eine andere Großveranstaltung. Heute geht’s um Sport. Auf dem Weg durch den riesigen, dunklen Industriebau zucken zur Musik Laser-Strahlen über die Betonwände, Filme flimmern, zwei Männer spielen Tennis in bunten Shirts. Ganz in weiß ist Stadtbienenhonig-Imkerin Erika MayrMit ihr steigen wir jetzt in den engen Fahrstuhl und erheben uns über den intensiven Berliner Alltag. Die Imkerin führt uns über den Dachboden zu einem Stahltor – und öffnet die Tür zu einer anderen Welt. Hier, auf dem Dach hält Erika zwei von ihren insgesamt 15 Bienenvölkern. Der Himmel ist weit, der Blick frei, bis zum Fernsehturm. Automatisch atmen wir tiefer.

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Warum hältst Du Deine Bienen hier, mitten in der Stadt?

Weil die Stadt mittlerweile der bessere Lebensraum für sie ist. Auf dem Land finden sie nicht genug Blütenstaub und Nektar. Wenn die Bienen dort nicht an einem unglaublich guten Ort stehen oder oft versetzt werden, müssen sie hungern. In Berlin gibt es 400.000 Bäume von denen viele Nektar und Blütenstaub tragen und in ihrem Radius von zwei bis vier Kilometern finden die Bienen von März bis Oktober noch ganz unterschiedliche Pflanzen – und immer genau das, was sie brauchen.

Seit wann ist das auf dem Land nicht mehr so gut möglich?

Seit es Pflanzenschutzmittel gibt, die für den Anbau von Monokulturen eingesetzt werden. Unsere Landwirtschaft hat sich in eine Energiewirtschaft umgewandelt, die keine Bestäuber mehr braucht. Monokulturen, besonders Kartoffeln und Mais, nützen den Bienen auch nichts. Außerdem werden die Wiesen so oft gemäht, dass erst gar keine Blüte entsteht.

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Hat die Imkerei in der Stadt zugenommen?

Ja sehr. In Berlin in den vergangenen vier Jahren ums vierfache. Mittlerweile gibt es hier mehr als 1200 registrierte Stadtimker. Das hat jetzt schon einen anderen Drive.

Ist das ein deutschlandweiter Drive?

Eigentlich schon. Hier in Berlin gibt es mehr Imker die nur wenige Bienenvölker haben. Auf dem Land ist das was anderes. Da haben die Imker meistens mindestens zehn Völker. Stadtimkern macht zur Zeit einfach besonders viel Spaß, weil Du eben auch eine Klientel hast, die regional produzierten Honig wertschätzt.

Heißt?

Es gibt insgesamt immer noch zu wenig Imker und damit auch zu wenig Honig. Das macht ihn teuer. Teurer als den importierten Honig, den es im Supermarkt gibt. Woher der Preisunterschied von bis zu zwei Euro pro 250 Gramm kommt, ist natürlich schwer zu vermitteln.

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viertel-vor-stadtbienen-erika-mayr-photo-marcus-werner-19Ist es manchmal auch schwer, den Leuten zu erklären, dass Bienen in der Stadt wichtig sind? Gibt es Ängste?

Gibt es, klar. Alle die hier am Kraftwerk arbeiten waren am Anfang total nervös. Mittlerweile nicht mehr. Weil sie die Bienen nicht sehen. Das ist das gute an den Standorten auf den Dächern. Meine Bienen fliegen direkt in die Bäume – und zeigen sich auf Augenhöhe der Menschen eigentlich kaum.

Das stimmt. Faszinierend, wie diese emsigen Geschöpfe so ganz im Hintergrund unser Ökosystem aufrecht erhalten. Nutz- und Wildpflanzen sind auf die Bestäubung durch Honigbienen angewiesen. Ohne Bienen, gäbe es viele Insekten, Singvögel und ein Drittel von dem, was wir Essen nicht. Erika öffnet jetzt einen der Kästen und zieht die untere Schublade des Bienenkastens heraus. Auf weißem Styropor liegen gelbe, wächserne Krümel neben verschiedenen weichen, bunten. „Das sind die abgefallenen Pollenhöschen“, erklärt Erika. „Probiert mal gräulich, die sind vom Kirschbaum.“ Wir probieren. Es schmeckt herrlich. Nach Frühlingsfrische und ein bisschen so, wie eine Kirschblüte riecht. 

Schmeckst du die einzelnen Bäume später auch aus Deinem Honig heraus?

Du schmeckst auf jeden Fall den einzelnen Standort. Bienen haben einen Flugkreis von zwei bis vier Kilometern. Was da wächst, ist später drin. Die Kirsche setzt sich hier weniger durch. Aber unten gibt es eine Lindenallee. Das schmeckt man sehr gut raus.

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Wie ist es mit Autoabgasen und Co? Findet sich auch Feinstaub im Honig wieder?

Nein. Den Staub filtern die Bienen in ihrem Körper, in der Honigblase aus. Der Nektar, der im Stock abgeliefert wird, ist immer sauberer als der Nektar, den die Bienen in den Blüten vorfinden. Zudem gibt es in der Stadt keine Pestizide. Die sind für die Bienen viel schädlicher! Im Honig landen die aber trotzdem nicht. Weil die Bienen an gefährlichen Schadstoffkonstellationen sterben bevor sie ihn produzieren können.

Davon sind Erikas Bienen weit entfernt. Zumindest die meisten. Zwar sind alle kerngesund, einige waren heute aber ein bisschen zu übermütig: Sie haben den Stock verlassen, obwohl es bei unter 12 Grad noch nicht warm genug für sie ist. Entkräftet liegen die Ungeduldigen vor ihrem Stock – und können sich starr vor Kälte nicht mehr bewegen. Erika sammelt sie in eine Hand, legt die andere darüber und pustet ihre „Mäuschen“ wieder warm. Und zack! Können sie wieder fliegen. Zurück in den Bienenkasten, in den Erika ihnen gleich Futter gibt. Den so genannten Zuckerteig, eine feste Masse aus Wasser und Puderzucker.

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Fütterst Du nicht mit Honig?

Nur zur Not. Und nur mit dem von meinen eigenen Bienen. Meine anderen Völker stehen auf der Messe Berlin, am Zeughof, in Adlershof und in einem Garten in Dahlem.

Und fütterst Du generell zu, weil die Völker gerade schwach sind?

Weil sie nicht mehr genug Vorrat haben. Ich habe sie seit der Varroa-Behandlung nicht gefüttert. Im Sommer müssen alle Bienenvölker gegen die Varroamilbe behandelt werden. Diese ist seit den Achtzigerjahren in Deutschland und hat damals zu einem großen Imkersterben geführt.

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Bist Du aktuell mit Deinem Honig-Ertrag hier zufrieden?

Er könnte besser sein. Was ich aber auch ok finde. Ich habe hier sehr exponierte Standorte. Weil ich es für wichtig halte, die Bienen darauf zu trainieren. In den letzten fünfzig Jahren wurde überall sehr auf Bienenfreundlichkeit geachtet. Die Körbe sollten immer sonnig stehen und windgeschützt – und gleichzeitig wurden in ihrer Umgebung eben immer mehr Insektenschutzmittel eingesetzt. Ich finde es wichtig, dass die Bienen jetzt wider an vermeintlich ungünstigere Stellen stehen. Damit sie sich dort anpassen. Denn an solchen Stellen wird eben auch nicht so viel gespritzt.

Und klappt das mit dem Training?

Absolut. Sie wollen sich anpassen – und sie können! Bei Wind und Wetter – oder im Sommer bei 40 Grad. Was diese Lebensform – was Natur alles kann – das haut mich jedes Mal wieder um. Dieses so zart wirkende Bienenvolk hat eine Ausdauer und eine Kraft, das ist unglaublich!

Erikas Stimme wird sanfter. Die Gartenbau-Ingenieurin hat eine zupackende, praktische Art – und gleichzeitig viel Gefühl. Für Situationen, für Menschen, für Stimmungen. Und natürlich für Bienen. Ihre Herzlichkeit überträgt sich schnell. Der Hausmeister vom Kraftwerk Mitte bekommt eine Umarmung, einer seiner Kumpels spontan ein paar Imker-Tipps für Anfänger. Denn mit Interesse und einem guten Grundkurs kann jeder Bienenhalter werden. 

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Hast Du das Gefühl Dich nochmal verändert oder entwickelt zu haben, seit Du Deine Bienen hast?

Absolut. Meine Art der Beobachtung hat sich verfeinert und ich bin noch stimmungsempfindlicher geworden. Und ich find’s richtig gut Honig zu ernten, Leuten Honig zu schenken und den zu verkaufen. Ich liebe das! Und ich bin so begeistert, in der Stadt leben zu können und gleichzeitig ein natürliches Produkt herzustellen. Man bekommt dabei einen anderen Blick fürs Lokale. Das finde ich ganz wichtig. Denn man ist ja heute oft mit dem Kopf in der ganzen Welt. Und wenn die Dinge zu schnell gehen, dann verliert man sich eben auch schnell.

Naturverbunden und feinfühlig: Warum entscheidest ausgerechnet Du Dich für ein Leben in der Großstadt?

Weil ich auch gern unter Leuten bin. Ich fühle mich wohl in einer sozialen Welt. Ich brauche den Zeitgeist und ich will da sein, wo was passiert. Deshalb auch die Wahl der Dächer.

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Imkerst Du vor allem für dich oder auch um Leuten hier die Natur als Lehrmeister näher zu bringen?

In erster Linie für mich. Die Zeit die ich damit verbringe, die gehört nur mir. Die ist mir wertvoll und heilig. Darüber hinaus hat es natürlich diesen Zauber, den ich unbedingt auch mit anderen teilen möchte.

Nur den Zauber oder auch den Naturschutzaspekt, der damit zusammen hängt?

Was genau die Leute damit dann machen ist mir egal! Ob die jetzt anfangen selbst Bienen zu halten oder einen Garten anlegen oder Bäume zu schützen oder Käse von der Kleinkäserei zu kaufen, weil der Honig regional produziert auch besser schmeckt, egal! Wenn irgendwas passiert, ist es gut. Am Schönsten finde ich es, wenn Leute durch die Bienen lernen, dass es sich lohnt, den Dingen Zeit zu geben.

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Erika Mayrs Honig gibt es im Weinladen, Köpenicker Str. 8,  jeden Donnerstag ab 19 Uhr in der Bar Mysliwska, Schlesische Str. 35, und im Sommer im Café im Prinzessinnengarten.

Schöne, lustige, lehrreiche Geschichten über Erikas Stadtbienen gibt es in ihrem Buch „Die Stadtbienen – eine Großstadtimkerin erzählt“.

FOTOS und FILM: Marcus Werner

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Ein Kommentar

  1. Super schön geschrieben, Anna!

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