In Your Face: Wie Meike Schützek mit Kunst gegen Mikroplastik kämpft

Boom! So haben wir uns noch nie gesehen. So nah, so klar – so hilflos, wütend, traurig. „Denk an den Müll im Meer“ hat Meike Schützek uns gesagt. Und dann hat Thomas Baldessarini abgedrückt. Die Fotos, vor dunklem Blau, ungeschminkt, ironisch geschmückt mit Plastik als Gesichtsmaske, sind Teil der aktuellen Kampagne „In Your Face“, initiiert von der Organisation Ocean. Now! Dieses starke Kollektiv, gegründet von Meike Schützek, will den Ozeanschutz beschleunigen. Und Mikroplastik aus Beauty-Produkten verbannen.

Deshalb fordert die Aktion, die wir zusammen mit anderen Meeresliebhabern und Liebhaberinnen wie Maddie von Dariadaria, Medienpsychologe Jo Groebel, Physiker Ranga Yogeshwar, Schauspieler Dieter Hallervorden und „Fridays For Future“- Aktivistin Luisa Neubauer unterstützen durften, das deutsche Umweltministerium konkret zum Handeln auf. Erklärtes Ziel: dass Umweltministerin Svenja Schulze das gesetzliche Verbot von Mikroplastik in der Kosmetik und Reinigungsmitteln öffentlich ankündigt und ein Datum zur Einführung des Gesetzes festlegt. Spätestens kommende Woche soll ein offener Brief übergeben werden. Und am kommenden Samstag, dem 8. Juni und gleichzeitig dem „UN Tag der Ozeane – unsere Verantwortung im Anthropozän“ können alle, die mögen, Ocean. Now! bei Snacks, Musik und schönem Input aus Kunst, Politik und Gesellschaft näher kennenlernen und unterstützen. Vorher haben wir Meike noch ein paar Fragen gestellt:

Meike Schützek von Ocean Now!

Euer Kampagnen-Fokus ist ein sehr gezielter. Warum konzentrierst Du Dich auf Mikroplastik in Kosmetik- und Reinigungsprodukte?  

In internationalen Studien wurde die Jahre über bewiesen, dass sich Mikroplastik schädlich auf lebende Organismen auswirkt, die Folgen sind zum Beispiel organische Schäden, niedrigere Reproduktionsraten und hormonelle Schäden. Auf der Europäischen Ebene hat man diese Gefahr erkannt. In Deutschland wird die Schädlichkeit immernoch verharmlost. Das gesetzliche Verbot von Mikroplastik in der Kosmetik und Reinigungsmitteln steht seit Jahren aus. Wir haben uns dieses Kampagnenthema ausgesucht, weil wir es nicht glauben konnten, dass es dieses Gesetz in Deutschland immernoch nicht gibt! Zahlreiche Organisationen haben große Vorarbeit geleistet, dafür sind wir sehr dankbar. Wir möchten mit unserer Kampagne, und vor allem dem Projekt „In Your Face“, bewirken, dass zum einen ein gesetzliches Verbot endlich beschlossen wird, und zum anderen auch so genannte gelöste Polymere genauer unter die Lupe genommen werden. Denn dieses flüssige Plastik wird aktuell kategorisch gar nicht erfasst. Zwar steht das Mikroplastik in der Kosmetik und in Reinigungsmitteln im Verhältnis zum Gesamtvolumen von Mikroplastik laut dem Fraunhofer Institut nur auf Platz 17, dennoch denken wir, dass es die Art von Mikroplastik ist, die am einfachsten vermieden werden kann.

Wird das anderswo schon gemacht? Wie stehen wir im Vergleich da?

Weltweit haben mit England, Schweden, Neuseeland und den USA schon vier Länder Mikroplastik in Kosmetik und Reinigungsmitteln verboten. Deutschland ist hier im Hintertreffen. Bisher wurde lediglich eine freiwillige Vereinbarung zwischen der Regierung und der Industrie beschlossen, bis 2020 Mikroplastik in Kosmetik und Reinigungsmitteln zu entfernen. Diese Vereinbarung wird gerade geprüft. Unserer Meinung nach ist sie zu schwach und läuft zu langsam.

Werden Verbraucher*innen hinters Licht geführt? 

Wir denken, dass die Industrie Mikroplastik und gelöste Polymere verantwortungslos einsetzt und dem Großteil der Verbraucher*innen dies nicht bewusst ist. Gelöste Polymere werden als Füllmittel verwendet, weil Kunststoff einfach günstig ist. Eine aktuelle Studie von der Plastic Soup Foundation in Zusammenarbeit mit der Free University of Amsterdam belegt, dass Anti-Aging-Produkte zu einem großen Teil auf Kunststoff basieren. Als ich das gelesen habe, war ich selbst schockiert.

Same! Wir wissen einfach zu wenig. Jeder Eurer Protagonist*innen hat ja auch einen besonderen Bezug zum Meer. Und trotzdem wirken die Ozeane für uns Menschen oft sehr abstrakt. Warum?

Das liegt sicher auch daran, dass wir selbst an Land leben und dabei wissen, wie groß, unerforscht und unkontrollierbar er ist. Wasser macht 71 Prozent der Erdoberfläche aus. Was auch immer passiert: Der Mensch muss sich dem Ozean fügen – und sollte ihn daher auch mehr respektieren.  Das Meer versorgt uns mit 50 Prozent allen Sauerstoffs in der Atmosphäre, kühlt 90 Prozent der globalen Erwärmung und nährt etwa 30 Prozent der Weltbevölkerung mit Proteinen. Ocean. Now! versteht den Ozean übrigens immer im Singular, als einen Ozean. Wir denken, es ist wichtig, zu realisieren, dass es im Meer keine Grenzen gibt. Das heisst zum Beispiel auch, dass sich von Industrieländern produziertes Mikroplastik global bemerkbar macht.

Solche Umwelt-Fakten und -Themen gewinnen in der öffentlichen Wahrnehmung an Relevanz. Warum müssen wir trotzdem noch besser hin schauen? Und was hilft endlich beim Handeln?

Stimmt, nach Jahrzehnten kommt der Umweltschutz langsam auch bei Menschen an, die ihn vorher nicht ernst genug genommen haben. Zum Glück! In einer Zeit, wo wir bereits ein Massensterben bei vielen Spezies und eine Klimakatastrophe in vielen Teilen der Welt beobachten, reicht das aber wirklich nicht aus. Aus der Wahrnehmung muss sich jetzt Aktion entwickeln – und zwar schnell. Der Gesundheitszustand des Ozeans ist auf vielen Ebenen, wie beispielsweise der Verschmutzung, Überfischung, Übersäuerung, hoch alarmierend. Ocean. Now! arbeitet mit dem Nachhaltigkeitsziel 14 (SDG 14)  „Leben unter Wasser“ der Pariser Klimakonferenz, es bildet den Rahmen unserer Arbeit. Mit unserer aktuellen Kampagne „Mikroplastik in der Kosmetik und Reinigungsmitteln“ beziehen wir uns nur auf eins der insgesamt zehn Unterziele. Wir beobachten aber insgesamt, dass der Wandel, den wir für alle Ziele von SDG 14 brauchen, viel zu langsam passiert. Das zeigt sich auch darin, dass das von uns eingeforderte Gesetz nun seit über fünf Jahren aussteht. Die bisherigen politischen und wirtschaftlichen Arbeitsprozesse haben jahrzehntelang funktioniert, aber jetzt, wo es brenzlig wird, brauchen wir zügigere Entscheidungsprozesse. Wir sind der „Fridays For Future“-Bewegung sehr dankbar, den Bedarf des sofortigen Handelns explizit und mit Konsistenz in der Öffentlichkeit anzubringen. Alte und träge Prozesse sollten durch zügige Prozesse und neue Intelligenz ersetzt werden. Gesamtgesellschaftlich ist unserer Meinung nach unerlässlich, dass allen Ebenen agieren: Wir brauchen ein geschärftes Bewusstsein auf der Ebene der Verbraucher*innen, ein größeres Verantwortungsbewusstsein auf der Seite der Industrie und politische Gesetze, die einen raschen strukturellen Wandel ermöglichen. Diese können übrigens auch von Verbraucher*innen wie uns eingefordert werden, daher gibt es Ocean. Now!.

Eure Kampagne bezieht sich auf ein Kunstwerk. Warum ist die Kunst ein guter Weg, Menschen zu erreichen?

Weil wir glauben, dass Kunst die Menschen auf einer emotionalen Ebene anspricht. Und weil sie auch medienwirksam ist. Wir wünschen uns, Gefühle zu erreichen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass wir nur einmal leben. Die „In Your Face“-Teilnehmer*innen sollten die Aktion als Chance sehen, ihrer Liebe zur Natur Ausdruck zu verleihen. Die Natur erhält uns. Wir tragen sie in uns und es geht nur darum, wieder zu ihr zurückzufinden. Die Kunst von unserer kooperierenden Künstlerin Swaantje Güntzel passte besonders gut zu unserer Kampagne. Ihr Konzeptkunst ist großartig, subtil, provokant und elegant. Ihr Kunstwerk „Microplastics II“ eignete sich ausgezeichnet für unsere Kampagne und haben uns sehr gefreut, als Swaantje sagte, dass sie Lust hat, Ocean. Now! zu unterstützen.

Wie sind die Reaktionen bisher?

Oft sind die Menschen, die unsere Portraits wahrnehmen, schockiert und begeistert. Dies ist auch genau die Mischung an Gefühlen, die wir uns wünschen. Es geht um die Tiefe – den Schock der Realisierung über die Zerstörung, und die Wertschätzung des Ozeans. Diese kommt auch dann ins Spiel, wenn wir die portaitierte Person sagt, was ihr der Ozean bedeutet, dieses Statement bilden wir mit jedem Portrait ab. Ich denke, das Thema Wertschätzung ist ein sehr wesentlicher Teil des Wandels, den wir so dringend brauchen.

Welcher war für Dich der schönste Moment während der Shootings? 

Für mich war jedes Statement von jeder Person ein besonders schöner Moment. Es zeigt, was in dem Menschen drinsteckt. Es ist ein Moment, der mich persönlich an die faszinierende Unterwasserwelt erinnert, an das Gefühl, eine Welle zu surfen oder daran, nur am Meer auf einem Felsen zu stehen, meine Arme auszubreiten und die Brandung zu spüren. Die ultimative Gegenwart, in der wir Menschen uns frei fühlen. Und auch der intensive Blick in den Augen der portraitierten Menschen war schön, denn er zeigt, dass wir alle eigentlich den Ozean und diesen Planeten schützen wollen. Außerdem hat es mir gefallen, das Mikroplastik aus den Umschlägen zu holen, das war schön. Es waren viele Menschen, die uns in der ganzen Welt geholfen haben, das Mikroplastik zu finden. Sie haben die Strände durchkämmt und dazu beigetragen, dieses Projekt zu verwirklichen. Sie beweisen, dass der Mensch fähig ist, ein kollektives Bewusstsein zu leben… Es ist einfach insgesamt ein wunderschönes Projekt geworden.

Das finden wir auch! Welche Herausforderungen kommen jetzt auf Euch zu?

Die nächste Herausforderungen für uns sind, unseren offenen Brief an das Umweltministerium zu überreichen und unser Crowdfunding erfolgreich voranzutreiben. Aktuell warten wir noch auf ein Datum für die Übergabe der Petition. Wir hoffen, sehr bald vom Umweltministerium zu erfahren, wann Svenja Schulze bereit ist, ihn entgegenzunehmen. Außerdem haben wir uns aufgrund der grossen Nachfrage entschlossen, im Herbst eine Ausstellung der Portraits zu machen. Dafür werden wir weiter Untertützung via Crowdfunding brauchen. Das schaffen wir, da bin ich mir ganz sicher.
Wir drücken fest die Daumen, danke für alles, liebe Meike.

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