Warum wir vielleicht kein nachhaltiges Online-Magazin mehr sein wollen

Am Wochenende sind wir beim morgendlichen Baby-Spaziergang durch unseren Kiez am lokalen H&M vorbeigelaufen. Das Schild im Schaufenster pries nachhaltige Denim-Artikel an – ab 14,99 Euro. Als wir mit Viertel \ Vor angefangen haben, war das eigentlich immer unser Ziel: dass Mainstream-Marken nachhaltig werden, weil man nur mit der Masse wirklich was bewegen kann. Daran glauben wir auch heute noch. Allerdings fliegt uns der Nachhaltigkeitsbegriff mittlerweile an jeder Ecke um die Ohren.

Klingt doch gut, wenn man ihn irgendwo noch mit einstreut. So will sogar die Deutsche Bank weiter nachhaltig wachsen, RWE wirbt für eine nachhaltige Zukunft, die Automobilkonzerne wollen nachhaltiger werden und in der Mode gehört es zum guten Ton, in seiner Kollektion wenigstens einen nachhaltigen Artikel anzubieten. Nachhaltigkeit ist heute alles – und Nichts.

Dass die Banken ihr Geld zum großen Teil mit dreckigen fossilen Brennstoffen, Rüstung oder Finanzspekulation verdienen, dass RWE noch schnell den Hambacher Forst weg baggern will, die Autokonzerne neben ihrem sehr bescheidenen Elektro-Angebot lieber auf fette SUV’s setzen, und dass der eine nachhaltige Artikel im Mode-Sortiment neben 10.000 anderen gar nichts für die Zukunft unseres Planeten bringt – das wird alles hinter der gut gemeinten Nachhaltigkeit versteckt.

Der Begriff Nachhaltigkeit wird nach und nach verwässert und verdeckt dabei das eigentlich Problem: unser CO2 Ausstoß ist zu hoch! Seit 2016 leben wir in einer neuen Ära, in der sich das gesamte Jahr mehr als 400 ppm (parts per million) CO2 in unserer Atmosphäre befinden – so viel, wie seit ein paar Millionen Jahren nicht mehr. Die Auswirkung davon ist uns allen bekannt: unser Klima wandelt sich. Es wird wärmer und damit verändern sich die globalen Lebensgrundlagen von uns Menschen (ja, wir sind immer noch abhängig von der Natur). Die Folgen davon, wie Meeresspiegelanstieg oder extremere Wetterverhältnisse kann man jetzt schon vorausahnen. Dazu kommen aber jede Menge Fragezeichen, die niemand wirklich absehen kann und vor denen die Forscher die größte Angst haben: den Kettenreaktionen des Klimas.

Jeder von uns hat einen CO2 Fußabdruck. Bei dem einen ist er größer, bei der anderen kleiner. Das hat damit zu tun, wie viel man zum Beispiel fliegt, ob man Fleisch ist oder nicht, ob man lieber Auto fährt oder Bahn, ob man Ökostrom bezieht, oder wie viel man konsumiert. Jede Handlung in unserem Leben, bei der Energie eingesetzt werden muss, hinterlässt einen Betrag CO2 in der Atmosphäre. Echte Nachhaltigkeit bedeutet daher für uns, dass unser Fußabdruck innerhalb dessen liegt, was unsere Planet vertragen kann: innerhalb der planetaren Grenzen.


Die planetaren Grenzen, zu ihnen gehören neben dem Klimawandel zum Beispiel auch das Artensterben, die Ozean-Versauerung oder der Süßwasserverbrauch, sind die Grenzen, in denen wir die menschliche Lebensgrundlage für uns und zukünftige Generationen sicher gewährleisten können. Für uns ist genau dies das zentrale Ziel und viel konkreter, als einfach nur von Nachhaltigkeit zu sprechen. Man kann jede einzelne Grenze überprüfen und dafür sorgen, dass wir diese nicht überschreiten oder gegebenenfalls Anpassungen im System vornehmen. Daher sind wir ab jetzt auf der Suche danach, wie wir es schaffen, in diesen Grenzen zu bleiben.

Wir wissen, dass man unser System nicht von heute auf morgen umstellen kann. Dafür ist es viel zu komplex. Aber wir haben durch Viertel \ Vor auch gelernt, dass unsere kleinen Schritte große Schritte werden müssen. Das bedeutet, dass es nicht um die vielen kleinen Einzelprodukte geht, die die großen Brands jetzt als nachhaltig in ihre Produktpalette einstreuen. Es geht um den gesamten Prozess: Wie wird die Energie hergestellt, mit der unsere Sachen hergestellt werden? Woher kommen die Rohstoffe? Wie werden sie in unsere Läden transportiert? All das beeinflusst den Fußabdruck der Produkte und damit unser individuelles CO2-Budget als Konsumenten. Wenn dies innerhalb der planetaren Grenzen liegt: Go for it! Wenn nicht: Don’t buy it!

Das Luftschloss Nachhaltigkeit muss endlich konkreter werden – oder wir wollen nicht mehr nachhaltig genannt werden.

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10 Kommentare

  1. Wichtige, wahre Gedanken! Es ist wie immer, wenn wichtige, idealistische Themen den Mainstream erreichen, sie versickern in der Masse der Gleichgültigkeit. Deswegen so wichtig: am Ende sind es doch nur die großen Schritte, die wirklich etwas verändern. Gut gesagt!
    Ein klitzekleiner Hinweis: RWE will den Hambacher Forst platt machen. Vattenfall treibt sich eher in der Lausitz rum.

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  2. Mittdreißiger, die sich an fragwürdigen Großkonzernen eine goldene Nase verdient haben nutzen jetzt ihre Freizeit und die Kohle, um auf Weltverbesserer zu machen?! Für das eigene Gefühl sicher gut, aber ihr seid so fernab der Realität. Habt ihr euch schon mal gefragt, welcher Normalbürger sich wirklich einen bugaboo, das Kiez Bett oder hessnatur-Kleidung leisten kann?! Und die sind in der Mehrzahl, also eigentlich die, die wirklich was ausrichten könnten, wenn man sie erreicht.

    Hinterfragt wird nur auf oberster Ebene, aber auch bei euch selbst? Ein nachhaltiges Onlinemagazin, wo kommt der Strom für den Server her, wie reist ihr zu euren Terminen/Interviews/zwischen euren beiden (!!!) Wohnsitzen, sehr minimal übrigens…ich empfinde euch nicht als wirklich informatives Magazin, für mich kommt ihr sehr selbstdarstellerisch rüber und promotet Sachen, die sich meist ans das dickere Portmonee richten.

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    • Danke für Deinen kritischen Kommentar. Und Du hast natürlich Recht. Anna und ich kommen absolut aus einer konventionellen Werbewelt, das sagen wir in jedem Interview. Da sagen wir auch, dass wir das alles irgendwann hinterfragt haben und unsere Skills in Zukunft dafür einsetzen wollen, die Menschen und Brands zu unterstützen, die es irgendwie anders und besser machen. Und klar haben wir uns das mit dem Geld gefragt. Das ist sogar eine Frage im Interview mit Kiezbett (die Antwort von Steve poste ich am Ende des Kommentars). Wir sind da gerade an dem Punkt, dass alles, was besser ist für die Umwelt günstiger sein muss, als deren konventionelle Alternativen. Das ist etwas, was der Staat regulieren muss. Der Konsument ist bis jetzt klar im Nachteil. Auch dazu gab es hier schon Artikel. Thema Hinterfragen: Du scheinst uns ja schon regelmäßig zu lesen. Deswegen verstehe ich nicht ganz, warum Du denkst, dass wir uns nicht hinterfragen? Natürlich tun wir das. Die ganze Zeit. Wir stehen im ständigen Zwiespalt mit unserem Lifestyle, wie so viele, die nachhaltiger leben wollen. Unser Strom kommt momentan von Greenpeace Energy, zwischen Terminen fahren wir wahlweise mit dem Zug, mit dem Rad in Berlin und wenn es gar nicht anders geht leider auch mit unserem Auto. Das Auto haben wir, weil unser Hof in Brandenburg sonst nicht erreichbar wäre. Und zur Kritik der Information / Selbstdarstellung. Wir haben uns am Anfang entschieden das Thema Nachhaltigkeit lifestyliger anzugehen und ihm eine Art Coolness zu geben, weil wir das bis dahin vermisst haben. Detaillierte Information findet man zwar in all den wissenschaftlichen Papern und Büchern (die wir auch so gut und oft, wie möglich lesen) aber die sind nicht gerade sexy, um den von Dir angesprochenen Mainstream zu erreichen. Deswegen haben wir uns persönlich als Beispiele und Orientierungsfiguren genutzt (auch, wenn wir uns bis heute schwer damit tun, uns zu zeigen und selbst darzustellen), durch die wir Menschen erreichen können. Wir finden bis heute, dass dieser Weg richtig war.

      Zum Abschluss noch: wir sind nicht perfekt, das wissen wir und sagen das auch immer. Wir versuchen für uns und unsere Leser einen guten Weg zu finden, wie wir aus dem Schlamassel wieder rauskommen. Das alles machen wir, wie Du schon bemerkt hast in unserer Freizeit. Das Geld, was wir damit verdienen reicht eher, um mal eine Zugfahrt zu einem Interview zu bezahlen. Mehr noch: Wir sagen heute viele große lukrative Jobs für konventionelle Brands ab und verzichten auf Geld. Dafür bauen wir unsere eigene kleine Agentur für grüne und nachhaltige Brands auf. Ich hoffe, dass diese ausführliche Antwort Deinen Blick auf uns nochmal überdenken lässt.

      Hier noch die Frage und Antwort zum Geld / Preis bei Kiezbett:

      „Trotzdem kommt immer wieder das Argument, dass sich Qualität nicht jeder leisten kann.

      Ja, das Gegenargument kann sein: Wer billig kauft, kauf mehrmals. Das kumuliert sich am Ende zum selben Preis, wenn ich in 15 Jahren dreimal ein billiges Bett für 400 Euro kaufe, das dann nicht mehr gefällt oder aus dem Leim fällt und quietscht. Das Kiezbett, wie gesagt, kann Dein Bett für`s Leben sein.
      Und ja, es kann sich auch nicht Jede_r ein Bett für 400 Euro leisten. Aber daran sind nicht die Verbraucher schuld. Da ist eher die Frage, wie ist das Geld verteilt. Und diese Situation spitzt sich zu. Hier bedarf es schleunigst einer Rückbesinnung auf das soziale in der Marktwirtschaft! Das sind politische Weichen, die gestellt werden müssen.“

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  3. Ja – warum sind wir nicht einfach alle und immer „weltbewusst“?!

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  4. RWE möchte den Hambacher Forst abholzen.

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  5. Super auf den Punkt gebracht und absolut richtig. Nur wird damit leider wieder der Begriff selbst in die Kritik eingebracht obwohl er doch lediglich instrumentalisiert wird. Davor war es doch gerade das Gegenteil und man vermied den Begriff – dann hieß es Conscious, Fair, Bewusst etc. und war genau die gleiche Hülle des leeren Inhalts. Nachhaltigkeit selbst ist im deutschen eh verdammt, ein sprachliches Doppelleben zu führen, schon allein weil es vor dem Konzept der Nachhaltigen Nutzung/Entwicklung die Bedeutung von Langlebigkeit hatte und heute noch hat. Auch ein Grund warum wir das Wort in so unterschiedlichen Zusammenhängen wiederfinden. Die Planetaren Grenzen konkretisieren die ökologischen Gedanken hinter dem Nachhaltigkeitsleitbild, sie haben aber auch viele Schwächen wie z.B. das sie keine Bezüge zu sozialen Aspekten herstellen, (noch) keine nationalen oder gar regionalen Betrachtungen zulassen und mit vielen Unsicherheiten bei den Berechnungen zu kämpfen haben. Lssst uns daher lieber den positiven Gedanken und die ausgereiften Ideen der Nachhaltigkeit weiter nach vorne bringen, sie weiter verbreiten, Menschen dafür sensibilisieren und halbherzige Greenwashing-Aktionen und dreiste Marketingsprüche entlarven. Oder zumindest aufzeigen, was besser gemacht werden sollte warum bestimmte Produkte oder Betriebe nicht nachhaltig sein können bzw. worauf man achten muss (z.B „nachhaltige Kleidung“ + 14,99€ = unmöglich, wenn ernsthafte ökologische und soziale Kriterien eingehalten werden sollen).

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  6. So richtig der Inhalt deines Artikels ist, die Überschrift ist Klickbait. Braucht ihr das wirklich?

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  7. Hallo,
    bis lang habe ich euren Blog still mitgelesen und finde eure Anregungen sehr spannend.
    Mit dem Thema der ganzheitlichen umweltgerechten Produktion befasst sich das Konzept von Cradle to Cradle. Ich weiß nicht, ob ihr davon schon was gehört habt? Gerade hat der jährliche Congress in Lüneburg stattgefunden, wo unter anderem C&A seine Produktlinien für Oberbekleidung und Jeans vorgestellt hat. Die sind nach 5 strengen Kriterien, Materialgesundheit, Materialwiederverwendbarkeit, Herstellung des Produkts mit erneuerbare Energien, sozial faire Bedingungen und Water Stewardship, hergestellt. Diese Shirts kann sich jeder Normalsterbliche leisten (7-9€) und muss nicht im Internet hetzen. Er muss es halt nur wissen. Die Shirts sehen gut aus und auch wenn der Normalsterbliche nicht vom Konzept weiß, tut er sich und der Umwelt was Gutes.
    Immer mehr Firmen widmen sich diesem Konzept und lassen sich entweder inspirieren oder danach zertifizieren. Diese Firmen haben erkannt, dass damit ihre Wirtschaftlichkeit zukünftig gesichert wird, da die Ressourcen, die sie nutzen, endlich sind. Vielleicht ist es für euch und eure Leser ein wertvoller Hinweis für künftige Anschaffungen. Nachlesen könnt ihr hier: https://c2c-ev.de/ oder für Produkte http://www.c2ccertified.org.
    Schreibt bitte weiter zum Nachdenken anregende Artikel,
    Katharina

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  8. Eigentlich ist es das alte Ding mit dem halb-leeren und dem halb-vollem Glas: Halb-leer ist es, weil die Haifisch-Kapitalisten den Anspruch „Nachhaltigkeit“ zu einem bloßen Mode-Begriff aushöhlen, um (noch mehr) Umsatz zu generieren; halb-voll ist es, weil „Nachhaltigkeit“ immer weiter in‘s kollektive Bewusstsein dringt und dort einen n a c h h a l t i g e n Stellenwert behauptet.

    Der Begriff als solcher war schon immer windelweich, da keinesfalls nur auf den Schutz der sogenannten „Umwelt“ anwendbar (wie im Satz vorher bewiesen). Als alter Sack „entstamme ich einem Jahrhundert“, in dem viel polarisierter diskutiert wurde – na und? Damals beleuchtete auch der reflektierteste „postmaterielle“ Bildungsbürger seinen Sisal-Boden mit 100-Watt-Strahlern. Heute dagegen probiert die doofe Stino-Mutti aus lauter Neugier vegane Rezepte aus, entdeckt dabei womöglich etwas Leckeres, das sie immer wieder mal kochen wird und schont so nebenbei Ressourcen. Ganz ironiefrei: Hoch lebe der Mainstream! Stört es uns wirklich, dass mittlerweile die Massen-Discounter Produkte aus der Region anbieten???

    In der Tat: Man kann das „System nicht von heute auf morgen umstellen“, zumindest wohl derzeit nicht. Eine Politik der kleinen Schritte ist dagegen zäh und mühsam. Aber wie heißt es angeblich in Südafrika: „Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, werden das Antlitz dieser Welt verändern.“ Und dafür brauchen wir Plattformen wie diese hier – so! 🙂

    (Während ich dies schrieb, habe ich mir wunderschöne Musik heruntergeladen, bin nun unabhängig vom streamen, wenn ich sie hören will und entlaste auch den diesbezüglichen server.) — wir haben Instrumente zur Hand: lasst sie uns nutzen…

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