Erinnert Ihr Euch noch an diese Fernsehwerbung, die uns dazu aufrufen wollte, mit jedem Kasten Bier auch gleich für den Regenwald zu spenden? Diese Kampagne hat wahrscheinlich mehr Geld gekostet, als je in Richtung Waldrettung geflossen ist. Zum Glück geht’s auch anders! Und zwar mit einem gepflegten Pils. Einem, dass auch noch ziemlich lecker ist: Quartiermeister – das (Bio-)Bier für den Kiez.
Für den Kiez meint in diesem Fall nämlich nicht nur den Kneipenbesucher aus Berlin Kreuzberg, Neukölln, Mitte oder Moabit, sondern auch soziale Projekte, die vor Ort gerade dringend Unterstützung brauchen. 10 Cent pro Liter verkauften Bieres spendet Quartiermeister an Initiativen wie Flüchtlingscamps, Bücherstuben, Nähschulen, Theaterschulen, Umweltschutzprogramme und Ähnliches. Dabei entscheiden die Konsumenten und Konsumentinnen per Online-Abstimmung immer wieder selbst, welche Projekte gefördert werden.
Weil Quartiermeister dabei mit Sponsoring-Verträgen arbeitet, läuft die Förderung relativ unverbindlich. So können auch Projekte gefördert werden, die keine eingetragenen Vereine, nicht gemeinnützig oder noch so neu sind, dass sie sonst kaum eine Förderung bekommen würden. Gleichzeitig finanziert das kleine Kreuzberger Unternehmen Viereinhalb volle Mitarbeiterstellen.
Wir haben eine davon, den Brauereitechnologen, Biobier-Entwickler und klugen Gesprächspartner Matheo Gundermann, 25, zum Interview getroffen. Natürlich trinkt Matheo dabei mit uns ein Bier – für den Anfang ein Alkoholfreies.

Lieber Matheo, wie ist das Unternehmen Quartiermeister entstanden?
Wir wollen ein Beispiel dafür sein, dass man anders wirtschaften kann, als es viele andere tun. Dass unser Produkt Bier geworden ist, war eigentlich ein Zufall. Das lag einerseits daran, dass wir dachten: Bier ist sowieso schon ein soziales Produkt, bestenfalls genießt man es in guter Gesellschaft. Außerdem gab es noch kein soziales Bier auf dem Markt.
Ihr wollt anders wirtschaften. Was stört Euch am aktuellen Modell?
Ich denke das Hauptproblem ist, dass die großen Profite unter zu wenigen Menschen aufgeteilt werden. Das Geld geht an Unternehmen und Führungspersonen. Die breite Bevölkerung bekommt im Grunde nichts oder nicht viel davon ab. Wenn man Profite gerechter aufteilen würde, würde es bestimmt auch vielen Menschen besser gehen. Und in diese Richtung wollen wir arbeiten.

Verstehst du euch als junges Unternehmen auch als eine neue Generation, die alte Strukturen von Markt effektiv neu überdenken kann?
Ich bin mir nicht sicher, ob das eine Generationsfrage ist. Aber das ist definitiv unsere Motivation. Und ganz sicher wollen wir ein Beispiel dafür sein, wie man die Wirtschaft zukunftsweisend umstrukturieren kann.
Es gibt sicher auch viele Unternehmen in unserer Zeit, die versuchen das bestehende System zu überdenken, in dem sie voll dagegen gehen. Wir hingegen haben akzeptiert, dass wir im Kapitalismus leben. Deswegen machen wir ein Stück weit mit. Klar, wir haben ein klassisches Unternehmen. Aber wir nutzen dieses Unternehmen als Kraft, etwas Besseres daraus zu machen, als es viele andere klassische Unternehmen tun.
Kann Kapitalismus je nachhaltig sein?
Nein. Aber man kann auch im System des Kapitalismus nachhaltig wirtschaften.
Haben wir eine Chance, dass die Welt in Bezug darauf wirklich besser wird?
Ich bin da realistisch und weiß, dass es viele große Unternehmen gibt, die da nicht mitmachen werden. Aber es gibt auch Kleine, die umdenken. Sicher kann man nicht das ganze System umkrempeln. Aber man kann einen guten Einfluss haben. Und vielleicht ziehen ja auch irgendwann ein paar der großen Player mit.

Meinst du, dass der Leitspruch weniger ist mehr, sprich kleine Unternehmen statt Millionenkonzernen, eine ernstzunehmende Alternative zum gängigen System sein kann?
Absolut. Wir haben bei Quartiermeister beispielsweise noch nie Fremdkapital rein geholt. Und es funktioniert trotzdem. Das einzige was wir mal gemacht haben war einen Privatkredit aufzunehmen – von 300 Euro.
Wofür?
Um die ersten Bierkisten zu kaufen. (lacht) Wir glauben eben generell einfach, dass langsames Wachstum sinnvoller ist. Weil man damit weniger Risiken eingeht, weniger Druck verspürt und nicht so tief fallen kann. Und wenn wir irgendwann an den Punkt kommen, an dem wir merken, dass wir nicht mehr weiter, dann können wir auch aufhören zu wachsen. Auch wenn es natürlich schön wäre, Quartiermeister über die Grenzen Berlins noch weiter zu etablieren.
Ist das ein Zukunftsziel für euch?
Schon. Dresden und Leipzig haben wir jetzt etabliert. Das passt, weil uns regionales Wirtschaften wichtig ist. Bei der Lieferung soll unser Bier den Radius von 200 Kilometer um die Brauerei nicht überschreiten.
Da seid ihr strickt?
Absolut. Wir hatten schon Anfragen aus Hamburg und Hannover – die mussten wir leider verneinen, weil unsere Brauerei zu weit weg ist. Momentan suchen wir nach neuen Partnern, die als Quartiermeister Nord oder West auch weitere Standorte beliefern könnten.
Wir wollen durchaus auch weiter kommen – nicht nur räumlich. Aber wir wissen eben auch: Wenn es nicht mehr möglich ist, weiter zu expandieren und gleichzeitig unseren Prinzipien treu zu bleiben, dann sagen wir lieber Stopp.

Seid Ihr euch da im Team immer einig?
Bisher schon. Dabei hilft auch der Quartiermeister Verein. Der hat ungefähr 20 aktive Mitglieder und ist neben der Projektförderung auch dafür verantwortlich das Unternehmen gewissermaßen zu überwachen – auf eine positive Art.
Apropos positiv: Entwicklung gibt’s ja durchaus auch in Bezug auf eure Produkte. Du selbst hast 2015 das Quartiermeister Biobier kreiert.
Stimmt. Wir haben mehr als zwei Jahre gebraucht, um unsere Partner-Brauerei davon zu überzeugen, sich überhaupt Bio zertifizieren zu lassen. Denn die betreffende Brauerei sitzt in einer strukturschwachen Region in Sachsen. Und die Verantwortlichen haben einfach nicht dran geglaubt, dass es überhaupt einen Absatzmarkt für Bioprodukte gibt. Und auch Quartiermeister an sich hatten sie anfangs nicht die höchsten Chancen eingerechnet. (schmunzelt) Als sie dann aber gesehen haben, wie das Bier hier durch die Decke geht und mit dem speziellen Geschäftsmodell völlig neue Vertriebsstrukturen aufbauen kann, haben sie erkannt, dass wir wissen, was wir tun. Das Vertrauen ist langsam gewachsen. Mittlerweile ist die Brauerei für uns sogar auch noch auf Naturstrom umgestiegen.
Der Beweis dafür, dass man mit ein bisschen Geduld auch Unternehmen, die sich bisher noch nicht damit auseinandergesetzt haben durchaus noch von Nachhaltigkeit überzeugen kann.
Das Nachhaltigste was man machen kann, ist meiner Meinung nach, bestehende Strukturen umzustellen oder weiterzuentwickeln. Dafür ist Quartiermeister ein gutes Beispiel: In Deutschland gehen super-viele Brauereien insolvent. Und mit einem Investitionskapital von mehreren Millionen die zigtausendste Brauerei in Deutschland zu bauen ist sicher nicht so sinnvoll, wie eine altbewährte zu retten, die an der Existenzgrenze kratzt.

Wer baut diese großen Brauereien, von denen du sprichst?
Der größte Bierproduzent in Deutschland ist Dr. Oetker. Denen gehört zum Beispiel die Radeberger Gruppe und denen wiederum gehören neben Riesen wie Jever auch alle Berliner Marken – vom Berliner Kindl über Schultheiss bis zum Szene-Bier Sterni. Kleine Brauereien haben es sehr schwer, sich dagegen durchzusetzen. Wer mithalten will, muss Nischen finden. Wir haben das geschafft, indem wir soziale Projekte fördern. Nicht indem wir sagen, dass wir das innovativste Craft-Bier sind, sondern indem wir sagen, dass wir das sozialste Bier sind.
Wie gut es gleichzeitig schmeckt, merkt man ja dann auch beim Trinken selbst schnell.
(lacht) Ja. Qualität wird bei Quartiermeister natürlich auch sehr groß geschrieben. Aber damit werben wir nicht.
Umso besser. Warum kann man mit sozial sein heute gut werben? Wird das für den Kunden auch wichtiger?
In bestimmten Zielgruppen auf jeden Fall. Ich bin nicht der Auffassung, dass die große Masse da mitzieht.
Was macht Eure Zielgruppe aus?
Dass sie bewusst etwas verändern will.
Wie verändert diese Arbeit auch dich selbst?
Sehr.

Welche war bisher deine wichtigste Erkenntnis?
Leider eher eine Traurige. Seit ich im Vertrieb arbeite, weiß ich, wie vielen gerade auch alternativen Kunden der Background doch egal ist, sobald sie mal zwei Cent mehr fürs Produkt zahlen müssen. Ich befinde mich in so einer Sozialunternehmerblase, in der man oft denken könnte, die Welt sei in Ordnung. Aber wenn man sich da ein bisschen raus bewegt, merkt man leider, dass der Weg dahin doch noch weit ist.
Ist das ein Ansporn den Weg immer wieder anzugehen?
Ja. Dass der richtige Weg ein weiterer oder ein vermeintlich beschwerlicherer ist, hält uns noch lange nicht davon ab, uns dafür zu entscheiden
Wie holt man Leute besser ab?
In dem man einfach zeigt, dass es funktioniert. Von unserem Bier können viereinhalb Leute leben, wir fördern alle sechs Wochen soziale Projekt und konnten dabei schon über 60.000 Euro ausschütten.
Und du hast ein eigenes Biobier gemacht!
(lacht) Ja. Quartiermeister ist ein gutes Beispiel dafür, dass es funktioniert. Und langsam wird das auch gesehen. Wir bekommen Anfragen – und auch immer wieder die Frage gestellt, ob wir keine Angst haben, dass andere uns kopieren. Dann sagen wir: Das ist genau das, was wir wollen! Dass Leute nachziehen. Das sich etwas verändert.

FOTOS: Marcus Werner
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