Ingwer-Süßkartoffelsuppe als Vorspeise, danach ein Tofu-Mangoldröllchen an gegrilltem Brokkoli und Kartoffelgratin mit einer klaren Gemüsejus: schmeckt nach Highclass. Ist es auch – obwohl die einwandfreien, frischen, Super-Gerichte, die im Pop-Up-Restaurant „Restlos Glücklich“ in diesem Monat auf den Tisch kommen, aus unverkäuflichen Lebensmitteln gekocht wurden. Und als unverkäuflich gilt aktuell nun mal leider schon eine zu stark verzweigte Ingwerknolle oder eine Süßkartoffel mit Druckstelle. Wer kauft denn so was? Offenbar immer noch zu wenig Menschen.
Und nicht nur die Bauern, Läden und Supermärkte werfen weg. Auch wir Privatpersonen sortieren zu Hause oft viel und zu großzügig aus, was man eigentlich noch unbedenklich und durchaus mit Genuss aufessen könnte. Laut der WWF-Studie „Das große Wegschmeißen“ von 2015 landen so bundesweit mehr als 18 Millionen Tonnen Lebensmittel auf dem Müll. Heißt: Insgesamt werden fast ein Drittel der Lebensmitteleinkäufe in Deutschland einfach weggeschmissen. Rein rechnerisch sind das pro Sekunde 313 Kilogramm leckere Nahrungsmittel.
Viel zu viel, findet Anette Keuchel. Die 39-Jährige hat sich entschieden ein Zeichen zu setzen. Mit einer Handvoll Gleichgesinnten hat sie vor einem Jahr den Verein „Restlos glücklich“ gegründet. Nach Crowdfunding, Catering und Werbeaktionen hat jetzt endlich das erste das Restaurant für mehr Wertschätzung von Lebensmitteln in Deutschland eröffnet. Zuerst nur für die Wochenenden im April. Dann verkündete das Team kürzlich die gute Nachricht: Ab dem 18. Mai wird sogar jeweils mittwochs bis samstags in der Kienitzer Str. 22 in Berlin Neukölln gekocht. Wie’s läuft und wie’s weiter geht? Und vor allem: Wieso so viel aussortiert wird? Wir haben mit Anette (sie steht hier in der Mitte) gesprochen:
Liebe Anette, wie läuft so ein Restaurant-Wochenende bei Euch?
Freitags gehen wir früh morgens zu unseren Partnern, um die Lebensmittel abzuholen, die nicht mehr verkauft werden können. Die werden dann sortiert – und teilweise bearbeitet, damit sie frisch bleiben. Gegen Mittag geht’s dann in der Küche los. Was es abends gibt, hängt davon ab, was aussortiert wurde.
Ist wirklich alles, was Ihr im Restaurant verkocht Ware, die vom Handel aussortiert wurde?
Nein, einige Dinge kaufen wir dazu. Butter zum Beispiel und Zucker und Öl. Und wenn wir merken, ok, bei diesem Gericht fehlt uns jetzt die Rotebeete, dann kaufen wir auch die ein – aber nur ausnahmsweise.
Wer sind Eure Partner?
Das sind mehrere, sehr unterschiedliche. Großhändler, Bio-Läden und kleinere Geschäfte. Einer davon ist „denn’s Biomarkt“. Über diese Kooperationen sind wir sehr glücklich. Es ist schön, Partner gefunden zu haben, denen das Thema Lebensmittelverschwendung genauso wichtig ist, wie uns.
Zumal Bio oder Bio Kaufen ja leider nicht immer mit political correct gleichzusetzen ist: Die Bio-Supermärkte sortieren fast abgelaufene Produkte und hässliches Obst und Gemüse teilweise genau so aus, wie die konventionellen, oder?
Ja. Allerdings ist in der Bio-Branche natürlich ein ganz anderes Bewusstsein für Lebensmittelverschwendung da. Deshalb arbeiten wir größtenteils mit Bio-Anbietern zusammen.
Das ist natürlich super, weil Ihr dann im Restaurant Bio-Gerichte anbieten könnt. Aber ist es nicht auch ein bisschen schade, weil ja eigentlich vor allem der konventionelle Markt mehr Aufklärung brauchen würde?
Unser Grundsatz ist: Wir retten alles! Sowohl in Bio- als auch in konventionelle Produkte ist Aufwand und Energie rein geflossen. Bisher hat sich einfach noch keine Kooperation mit einem konventionellen Anbieter ergeben. Dabei wäre das schön, ja. Denn damit würde man auf jeden Fall nochmal eine andere Kundenschicht erreichen. Bio-Kunden sind schon recht sensibel, was das Thema angeht. Und nicht zuletzt schmeißen sie auch weniger weg, weil sie mehr für das Essen bezahlt haben. Ich finde übrigens grundsätzlich, dass viele Lebensmittel in Deutschland viel zu günstig sind!
Was wird am meisten weg geworfen?
Obst und Gemüse, das nicht der Norm entspricht. Das ist dann einwandfrei. Übrig bleiben zum Beispiel auch Einzel-Bananen. Die Leute greifen offenbar automatisch zur Staude. Von einer Weinhandlung in Kreuzberg bekommen wir außerdem Reste aus Verkostungen. Also Flaschen, die schon offen sind. Und die, bei denen das Etikett verrutscht ist.
Wer macht solche Regeln? Warum dürfen verrutschte Etiketten nicht in den Verkauf?
Ich denke die Anbieter trauen sich nicht ihren Kunden so was anzubieten, es muss einfach alles perfekt sein.
Wie ist es mit Abgelaufenem?
Das wird aus logistischen Gründen oft schon aussortiert, bevor das angegebene Ablaufdatum erreicht ist. Deshalb müssen wir noch nicht mal auf abgelaufene Lebensmittel zurückgreifen.
Und wie lange kann man es dann noch essen?
Joghurt oft noch drei Wochen später.
Das ist doch pervers. Kann man da als Supermarkt nicht anders planen?
Gerade die Planung ist das Schwierige. Und Kunden, die erwarten, dass immer alles da ist. Auch abends um sechs noch mindestens ein Brot von jeder Sorte. Deshalb bleibt viel liegen. Brot bekommen wir Säckeweise!
Was macht Ihr daraus?
Knödel, Brotchips, Toskanischen Brotsalat…
Welches Gericht hat Dich bisher am meisten überrascht?
Das kann ich gar nicht sagen. Alles was unser Koch Daniel bisher gezaubert hat schmeckt einfach wunderbar!
Wie reagieren die Gäste darauf, dass sie vorher nicht wissen, was es gibt?
Offen und neugierig. Die meisten wissen ja, dass sie nicht wählen können – sondern bekommen, was wir eben gerade haben.
Bedeutet das aber nicht im Umkehrschluss, dass zumindest ein Teil der Kunden gar nicht erwartet, dass es bis 18 Uhr alle Brotsorten noch gibt? Man weiß doch auch mittlerweile, dass viel weg geschmissen wird! Warum stellen die Supermärkte nicht einfach ihre Einstellung – oder zumindest ihre Logistik um?
Weil immer noch viel zu wenig Menschen das fordern. Nicht zuletzt auch, weil die Industrie uns auch suggeriert, dass wir das wollen. Ich hoffe, dass die kritischen Konsumenten mehr und lauter werden – wir leisten gerne unseren Beitrag dazu.
Seit wann beschäftigst Du dich persönlich mit dem Thema Lebensmittelverschwendung?
Unbewusst eigentlich schon immer. Bei uns zu Hause wurde nie was weg geschmissen. Bei meiner Mutter kam alles in die Tupper-Schüssel – und Samstags gab’s dann manchmal ganz kunterbunte Reste-Menüs. (lacht)
Fandest Du das als Kind gut oder auch eher mal bisschen doof?
Manchmal fand ich die Zusammenstellung komisch. Aber das war halt so. Und das war auch voll ok. Und heute finde ich natürlich ganz toll, dass das meine Mama konsequent so gemacht hat. Das hat mich geprägt. Und als ich dann von dem Reste-Restaurant „rub&stub“ in Kopenhagen gehört hab’ da wusste ich sofort: das is’ es!
Ist nach wie vor ein festes Restaurant Euer Ziel?
Definitiv. Wir haben jetzt sehr viel Caterings und ein paar Pop-Ups gemacht. Das war alles super – ist logistisch aber ein sehr großer Aufwand. Wir holen die Lebensmittel ab, sortieren sie, bearbeiten sie teilweise, damit sie nicht schlecht werden. Wenn man dann zudem noch immer an unterschiedlichen Orten kocht, ist das schon sehr viel. Deshalb sehnen wir uns – nicht nur für die Gäste – nach einem festen Ort. Und aktuell sind wir auf dem Weg dahin mit der Kienitzer Straße ja auch schon einen Schritt weiter.
Wie schön! Und darüber hinaus sind Euch auch Bildungsangebote zum Thema Lebensmittelverschwendung wichtig, oder?
Total. Dafür investieren wir auch unsere Überschüsse. Außer Koch und Restaurantmanager arbeiten alle jetzt im Pop-Up und auch auf lange Sicht ehrenamtlich. Wir haben da zum Glück schon ein großes starkes Team zusammen.
Ist Information beziehungsweise das Bewusstsein, das Ihr vermittelt der wichtigste Teil Eurer Arbeit?
Ja, das wollen wir zum Einen im Restaurant erreichen. Und zum Anderen bieten wir Koch- und Einmachkurse an, auch speziell für Kinder. Wir wissen ja oft gar nicht mehr, wie unsere Großeltern das gemacht haben mit dem Kochen, haltbar machen und Reste verwerten.
Ist das ein generelles Problem?
Das Problem ist und bleibt leider ganz einfach, dass die Leute einfach viel zu viel weg schmeißen.
Was kann jeder einzelne tun? Welche sind die drei ersten Schritte zu Hause?
Den Einkauf planen, wirklich einen Zettel schreiben. Es ist nachgewiesen, dass man weniger weg schmeißt, wenn man wirklich weiß, was man braucht und was nicht.
Gucken was man noch da hat und daraus ein Gericht machen, anstatt immer neu zu kochen. Auf dem Markt kaufen.
Denn jeder einzelne schmeißt ja weg.
Genau. Und das ist der Punkt an dem wir ansetzten. Auf die Industrie haben wir wenig Einfluss. Aber auf den Einzelnen. Und wenn wir alle unser Verhalten ein bisschen überdenken, dann ist schon viel gewonnen.
Was tun statt weg schmeißen zu hause?
Nachbarn anbieten. Ich gehe zum Beispiel durchs Haus und biete den unsere Lebensmittel an, bevor wir in den Urlaub fahren. Weitere Optionen sind Foodsharing und – trotz der neuen Auflagen – in Berlin auch die Fairteiler.
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