Sein Ästheten-Herz kann Christoph Keller nicht verstecken. Wer an den Rand des Dorfes Eigeltingen-Münchhöf und am Bächlein entlang auf seinen Hof kommt, dem eröffnet sich mehr als ein Blick durch sattgrünes Blattwerk auf Stallungen und schlichte Holzzäune. Rund um die Edelobstbrennerei Stählemühle gibt es auch ausgewählte Arbeits-Oldtimer und wohl arrangierte Designer-Stühle. „In meinem ersten Leben war ich Gestalter“, sagt Christoph und schmunzelt.
Der 47-Jährige ist gebürtiger Großstädter, Grafiker und Kunstbuchverleger. Alles ehrgeizig, alles erfolgreich. Heute ist er Hofbesitzer und Destillateur – und wieder ganz vorne dabei. Mit Vollbart und Latzhose brennt Christoph mehr als 250 verschiedene Sorten Edel-Schnaps: Feinste Obstbrände aus regional und unbehandelt gewachsenen Früchten und Pflanzen. Für Genießer, für Raritätensammler oder für Sommeliers aus der Luxusgastronomie. Seit Jahren gilt er als der Destillateur in Deutschland.
Doch auf dem Höhepunkt dieses Ruhms wird Christoph von Routine und nachlassender Lust erwischt. „Es steht fest“, sagt er im Interview mit VIERTEL \ VOR. „Wir werden hier aufhören. Die Stählemühle gibt es als Betrieb noch zwei bis drei Jahre. Dann mache ich das nicht mehr.“ Ein Gespräch mit einem, der aufs Land zog und Karriere machte – und der jetzt das Einfache vermisst:
Lieber Christoph, vor knapp zwölf Jahren hast Du mit Deiner Familie Euren Hof und die Schnapsbrennerei Stählemühle gekauft. Wolltest Du gezielt Schnapsbrenner werden?
Überhaupt nicht. Das ist langsam und schrittweise gewachsen. So ist das immer bei mir. Da gibt’s nie einen strikten Masterplan. Eher Pfade, die sich öffnen. Und denen bin ich immer gern gefolgt.
Welcher Pfad hat Dich zum Destillateur gemacht?
Der Zufall. Wir haben damals mit zwei kleinen Kindern in Frankfurt gelebt und wollten ein anderes Leben. Ohne dogmatische Vorstellungen und ohne Hippie oder Selbstversorger werden zu wollen. Es gab einfach eine klare Sehnsucht nach Land und Natur. Nach einem Jahr Suchen haben wir die Mühle gefunden. Und wir waren keine zehn Tage eingezogen, da stand hier der Zoll vor der Tür und hat gesagt: Also, Sie haben hier ein Brennrecht mit erworben, wenn Sie hier nichts brennen, dann verfällt das.
Und dann?
Das war dann der Anreiz das Brennen mal zu versuchen. Und das haben wir dann auch mehr oder weniger sofort gemacht. Zum Glück hatte ich Kontakt zum Sohn des Vorbesitzers, der konnte mir zeigen, wie die Maschinen funktionieren. Und das war eine Initialzündung. Ich war sofort fasziniert. Das Brennen ist dann schnell zu’nem Hobby geworden – und dann zur Leidenschaft. Und dann wurde es immer mehr und irgendwann konnte man nicht mehr sagen: Ich mach‘ das nebenbei. Da musste man dann sagen: Ich mach‘ das Hauptberuflich. Der Weg dahin war toll. Wir mussten ja erstmal alles aufbauen und erlernen, alleine das Grundwissen über Natur und Früchte. Wir wussten ja nix! Dafür hatten wir viel Ruhe. Man ist ja doch schwerer erreichbar durch das Leben außerhalb der Stadt.
Das hat sich dann aber sicher schnell verändert, weil Du mit Deinen naturreinen Schnäpsen ja regelrecht berühmt geworden bist.
Ja.
Hörst Du auf, weil Dich die fehlende Ruhe nervt?
Vor allem nervt mich das Delegieren und das Administrative, das ja dann irgendwann zu so einem Betrieb wie unserem dazu gehört. Der Versand, die Organisation und Verkaufsgespräche, das sind Sachen die ich überhaupt nicht gerne mache oder jemals machen wollte. Und da haben wir jetzt einfach die Reißleine gezogen und gesagt: So wollen wir nicht leben.
Eine starke Entscheidung. Die zu treffen stelle ich mir schwierig und mutig vor.
Naja. Das soll nicht überheblich klingen, aber der sportliche Ehrgeiz ist da auch so’n bisschen weg. Ich hab‘ mittlerweile mehr als 700 Rohstoffe destilliert. Die Frage, was kann man da noch kreieren oder was wollen wir hier noch raus ziehen stellt sich nicht mehr so oft. Sprich: Mir gehen einfach ein bisschen die Abenteuer aus. Und ein bisschen Abenteuer brauch’ ich. Ansonsten bin ich ein sehr einfacher Mensch, was meine Bedürfnisse angeht. Und auch das kollidiert mittlerweile ein bisschen mit dem, was ich tue.
Inwiefern?
Ich arbeite in einer Welt, in der es um die ständige Verfeinerung des Lebensstils geht. In diesem Luxus-Kulinarik-Metier geht es immer darum, wie man’s noch besser machen – noch exklusiver essen, noch einzigartiger Trinken und noch geschickter vermarkten. Ich gehöre da dazu, das kann ich nicht abstreiten. Aber ich persönlich bin’n Typ: Ich ess‘ abends gern’n Wurschtbrot. Ich muss mich aber ständig mit Sterne-Gastronomie und der endlosen Verfeinerung der Welt auseinandersetzen. Und sich dabei dann immer wieder mit der Frage zu befassen: Wie können wir immer noch luxuriöser leben – das ist meines Erachtens geisteskrank.
Haderst Du deshalb mit dem was Du tust.
Ein bisschen. Wir haben immer gesagt, dass wir eine Vision und eine Überzeugung verkaufen , Natürlichkeit und Regionalität und so. Finanziert wird das alles aber nur durch diese ständige Verfeinerung des Besten.
Eine taffe Selbsterkenntnis.
Na, man sollte schon immer neu hinterfragen, was man so tut. Und ich stelle eben fest: Ich bin einfach ein bisschen primitiver. Es ist doch verrückt heutzutage in eine Bar zu kommen und die Barkeeper meinen sie müssten einem 150 Gins anbieten.
Ich könnte die schon mal sowieso gar nicht auseinanderhalten.
Das kann ich schon. Aber ich denk‘ dabei zunehmend daran, dass die Leute in anderen Ecken der Welt noch nicht mal was zu trinken haben. Und wir machen uns Gedanken darum, ob wir uns denn auch wirklich das passende Tonic zum passenden Gin aus endlosen internationalen Sorten herausgesucht haben.
Ist das für Dich „nur“ eine Erkenntnis oder etwas, was Dich auch belastet oder traurig macht?
Naja, am Anfang ging es mir um das regionale Erbe: Obstbrände. Das ist ja hier unsere Alkoholtradition. Die Schotten haben Whisky, Mexiko hat Tequila, die Karibik hat den Rum – wir haben Obstbrände. Das ist ein wahnsinnig großes, wichtiges Kulturgut. Ich finde das geschichtlich sehr spannend, habe es kennengelernt und verstanden. Und dann habe ich auch begriffen, wie die Industrie das macht. Nämlich mit künstlichen Aromen, von denen immer mehr entwickelt werden, weil wir offenbar immer neue Aromen wollen. Ich habe erkannt: Wenn ich das Ganze traditionell und natürlich machen will, dann ist das wahnsinnig teuer. Das war für mich die erste Frustration. So’n Obstbrand kostet bei uns im Schnitt 75 Euro. Im Supermarkt kannste die für 7,50 haben. Die zweite Frustration ist zu sehen: Wenn mein Obstbrand also 75 Euro kostet, dann kann den ja nur ’ne Hand voll Leute kaufen. Wir stellen also ein Produkt her und setzen einen Lebenstil voraus, der für viele schon finanziell gar nicht in Frage kommt. Und das ist so eine Erkenntnis, die wächst.
Was schließt Du daraus für Deine nächste Tätigkeit?
Das kommt darauf an, wo es mich hinführt. Vielleicht mache ich etwas Politisches in diese Richtung. Vielleicht aber auch etwas ganz anderes – etwas gar nicht Öffentliches.
Zieht Ihr auch weg?
Nein. Wir betreiben nur die Brennerei als Betrieb nicht mehr. Das wird dann ‘ne Privatbrennerei, wirklich ein Hobby. Aber nichts mehr zum Geld verdienen.
Sehnst Du Dich manchmal wieder in die Stadt?
Nie. Mich zieht’s überhaupt nicht in die Stadt zurück. Freiwillig würde ich hier nie weg gehen. Auch weil das hier für uns mittlerweile Heimat ist. Wenn man so’n Hof hat, dann hat man irgendwann das Gefühl man kennt da jeden Grashalm – und muss sich darum kümmern. Da hat man ’ne andere Beziehung zu als zu einer Wohnung in der Stadt, glaub ich.
UPDATE
Da es zu Irritationen kam stellen wir hiermit klar: Dieses Interview bezieht sich ausschließlich auf die Stählemühle, nicht auf die Marke „Monkey 47 – Schwarzwald Dry Gin“. Christoph Keller bleibt bei „Monkey 47“ involviert.
FOTOS: Marcus Werner
25 Kommentare
Sehr, sehr erhellendes Interview, das manch spinnerte Entwicklung ins rechte Licht rückt. Danke.
Die Fotos sind wirklich toll!
Sehr schade so ein tolles Produkt in die Hände eines Konzerns zu geben der daraus ein Massenprodukt machen wird.
„zwischen schwäbischer Alp und Bodensee“.
1. Falsch geschrieben.
2. In Erdkunde nicht aufgepasst.
Leider aktuell richtig geschrieben, is dämlich, ich seh’s auch so.
Der Christoph ist eine absolut beeindruckende Persönlichkeit ! Alles gute was auch immer du zukünftig machst ‼️
:… Wenn ich auch traurig sein werde ihne deine einzigartigen Brände
Ich kann das gut verstehen!
Viel Erfolg im neuen Leben.
Aber wenn die Schwäbische Alb ’ne Alp ist, dann verursacht das bei mir Alpträume.
Nur wer sich ändert bleibt sich treu. Was Ihr mit viel Liebe und Herzblut kreiert habt ist GroßARTig. Es wieder loszulassen ist KUNST.
Toll konsequent! Beeindruckend.
Es gibt Leute die kaufen einen Wein nur noch nach seiner „aufgesetzten“ Geschichte (ausgebaut nach Urgroßvaters geheimen Wissen, Bodenanalyse muss vorliegen(!) usw. usw.). Alles langsam krank.
Früher gab´s zwei handvoll Rote und Weiße im Remstal – man hat sie geschlürft und geurteilt: Kann man trinken, wenn nicht ist man auf den Moscht ausgewichen ! Und heute gibt´s den Wein-, Bier-, Käse-, Wasser-, und neuerdings sogar den Brot-Somelier. Alles so überkandidelt… Deshalb: Hut ab vor der Entscheidung von Christoph!
Mir fallen nur zwei Sachen dazu ein:
1. Ach du Scheisse, den Gin, der mich zum Gin-Genießen gebracht hat, wird nicht mehr hergestellt!
2. Alter Schwede ist das eine coole Socke! Hut ab!
Hallo Stephan! Keine Angst, Monkey Gin wird auch weiterhin hergestellt. Im Interview sagt Christoph nur, dass er selbst in seiner Stählemühle aufhören will, seine Obstbrände geschäftlich zu brennen.
Erdkundekorrektur:
Als Hegau bezeichnet man ein Gebiet, keine Ortschaft.
Und die Stählemühle liegt in Eigltingen-Münchhöf.
Ein Blick auf deren Internetpräsenz hätte schon den Ortsnamen auf der Startseite erwähnt.
Wenn man schon einen ansprechenden Artikel schreibt sollten die Ortschaften und Regionen richtig benannt sein, sonst kann man der ganze Text in die Tonne….
Danke für Deine Korrektur, Karli! Und einen schönen Sonntag.
Das süddeutsche Dorf Hegau gibt es nicht. Der Hegau ist eine Region und kein Dorf. Die Stählemühle steht in Münchhöf bei Eigeltingen. Viele Grüße aus eben jenem Hegau!
Ganz herzliche Grüße zurück dorthin! Und vielen Dank, lieber Hans Richard. Schönen Sonntag Dir, Anna.
Schade werde die tollen Brände vermissen aber vielleicht hat die Familie nun mal Zeit zum Bootfahren auf dem See mit uns? Toller Bericht !
Gruß von der Insel
Danke für diese wertvollen Impulse!
…diese bodenständige Haltung tut gut.
…großes Kompliment auch in die Interviewerin.
Schöner Artikel, aber die Schotten sind mitnichten für ihren WhiskEY bekannt – für den WhiskY schon eher …
ganz schön viele besserwisser unterwegs hier….
zunächst fand ich herrn kellers einsichten auch nachvollziehbar.
aber warum verkauft er die marke. nun erzielt er ja noch ein letztes mal ordentlich profit aus seinem image in der luxuswelt. andererseits muss man natürlich von irgendwas leben…
Grischi, Du Irrer, wir haben es ja immer gewusst… bald geht auch diese Ära zu Ende. Schlage vor wir fahren nächstes Jahr ein paar Alpenpässe und trainieren für das Regenbogentrikot in unserer Altersklasse.
Des wär doch was! Meld Dich, komm auf den Fohrenbühl, wenn´s Dir a weng langweilig wird. Dein Daniel
Wenn wir wirklich vom Hegau reden, dann heißt der Ort Eigeltingen. Nicht Eigltingen, das klingt so nach…wo lässt man das e weg? Schwaben? Oberbayern? 😉
Im Hegau und am Obersee gibt es noch ein paar andere Höfe die das Brennrecht haben. Also wer dort unterwegs ist…vielleicht kein Luxusgut, aber dafür eher um 7.50 denn 75 zu haben. Tipp: Wartet im Hofladen, bis ein älterer Herr für eine Flasche Kräuterschnaps kommt und fragt, wozu er sie braucht: Das WD40 der Schnäpse. 😀
Toller Bericht und schöne Bilder über eine außergewöhnliche Persönlichkeit und edle Produkte.
Vielen Dank Anna!
Herzliche Grüße
Danke Dir, Andreas! Herzlichen Gruß zurück.
Andere Meinungen
[…] Quelle: WARUM MACHST DU SCHLUSS MIT MONKEY GIN, CHRISTOPH KELLER? – VIERTEL VOR […]
[…] Keller auf seiner Homepage. Dazu gibt es zwei fantastische Interviews in der Brand Eins und auf Viertel-Vor, die ihr unbedingt lesen […]
Schreibe einen Kommentar
Deine Mailadresse wird nicht veröffentlicht.
Erforderliche Felder sind mit * markiert.