Einer der für mich wichtigsten Sätze des letzten Jahres kam nicht aus dem Mund von Aktivist*innen oder aus der Nachhaltigkeitsszene. Vielleicht ist er mir genau deshalb auch noch bis heute im Kopf. Er kam ganz überraschend von einem Mitarbeiter eines großen deutschen Automobilkonzerns. Er sagte: „Wir müssen lernen auch mal Fehler einzugestehen, mal zu sagen: Das lief falsch, paar Schritte zurück, Neuanfang.“ Klingt jetzt nicht nach dem großen Aufschlag, den Ihr Euch jetzt erwartet habt? Auch bei mir hat es ein bisschen gebraucht. Aber immer und immer wieder kam er mir bei verschiedenen Gelegenheiten in den Sinn.
Unser ganzes komplexes Weltsystem beruht auf der Grundlage von Fiktionen und Mythen, an die wir alle glauben (Das sag nicht ich, sondern Yuval Noah Harari). Unsere Kultur ist nichts natürliches, sondern etwas, dass von uns allen irgendwann mal konstruiert wurde. Bestimmte Produkte, Dienstleistungen, Praktiken oder Systeme haben sich durchgesetzt, weil genügend Menschen davon überzeugt waren, dass etwas einen persönlichen Vorteil bringt, bequemer ist oder sich einfach damit Geld verdienen lässt. Das heißt aber nicht, dass sie für ewig bestehen müssen.
Unsere gesamte Lebenswelt ist im ständigen Fluss und verändert sich täglich. Die Bedingungen, die noch gestern galten, stehen heute unter ganz anderen Voraussetzungen. Oft wurde unsere Lebenswelt durch technische Innovationen verändert. An anderer Stelle durch politische oder ökonomische Überzeugungen. Dir Hürde für technische Veränderungen ist dabei relativ niedrig. Sie ist Teil von Business-Modellen und die Hype-Cycle von neuen Produkten sind heute kürzer den je. Menschen wird Lust gemacht auf neue Dinge und Designs – und sie kaufen bestimmte Sachen, um zu zeigen, dass sie auf der Höhe der Zeit sind oder einen bestimmten Status inne haben. Politischer oder ökonomischer Wandel ist jedoch ungleich schwieriger zu bewerkstelligen. Dahinter stehen eine Vielzahl von Einzelinteressen: Unternehmen, die gut am Status quo verdienen, Arbeitsplätze, komplexe soziale und geldpolitische Zusammenhänge.
Mit dem Klimawandel werden nun all diese von uns kreierten künstlichen Grundlagen unseres Lebenssystems das erste Mal von Extern (das er eigentlich intern ist, haben wir bis jetzt immer ignoriert) in Frage gestellt. Wir müssen erkennen, dass all das, was wir uns irgendwann mal ausgedacht haben unbedeutend ist gegenüber dem wichtigsten Gut, das wir kennen: dem Natursystem. Den künstlichen Übermut, mit dem wir in den letzten zwei Jahrhunderten unsere Natur überfrachtet haben, müssen wir deshalb heute umdenken.

Aus diesem Grund wirkt der Satz oben auch immer noch noch bei mir nach. Er drückt Bescheidenheit aus. Und das ist etwas, was viele von uns verlernt haben. Im Gegenteil: unser System erzieht uns dazu, zu denken, dass wir alles immer und überall haben und machen können. Und vor allem erzieht es uns dazu, nicht über die Folgen nachzudenken.
Wenn wir und unsere Kinder jedoch eine Chance für eine gute Zukunft haben wollen, dann ist es jetzt an der Zeit für eine neue Bescheidenheit. Damit einher geht, dass wir anfangen müssen, uns unsere Fehler einzugestehen. Wir müssen jetzt überprüfen, welche Produkte oder Modelle unter dem externen Druck unseres Natursystems noch Bestand haben dürfen. Und wenn wir feststellen, dass irgendetwas davon heute schlichtweg unsere künftige Lebensgrundlage bedroht, dann müssen wir beides neu denken: das Produkt und das System dahinter.
Warum dieser Artikel jetzt erscheint? In unserer Geschichte gibt es immer wieder Momente für große Veränderungen. Meistens passieren diese in Zeiten von Krisen. Die Ausbreitung des Coronavirus stellt so ein Zeitfenster der Möglichkeiten dar. Viele der alten Zusammenhänge oder systemischen Grundlagen funktionieren nicht mehr. Deshalb ist es Zeit neu zu denken: bedingungsloses Grundeinkommen, dezentrale Energieversorgung, Autoverkehrsberuhigte Städte. Wir Menschen machen immer Fehler. Aber wir können auch in der Lage sein uns diese Fehler einzugestehen und besser zu werden. Ich wünsche mir deshalb, dass eine neue Bescheidenheit die Grundlage von all unseren Entscheidungen wird. Wenn nur genügend Menschen daran glauben, sind die notwendigen Veränderungen nicht mehr weit weg.

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