Corona ist kein Klimaretter: Warum wir weiter Verantwortung tragen müssen

In Venedig ist das Wasser wieder klar. Fischschwärme schwimmen in den Kanälen. Vielleicht, so spekulieren online gerade viele, werden auch Menschen dort bald wieder baden können. Möglich war das seit Jahrzehnten nicht mehr. Nichts konnte die schmutzigen Kreuzfahrtschiffe stoppen, nichts die riesigen Touristen-Ströme auf den kleinen Wasserwegen der italienischen Stadt. Corona kann! Über China, das eigentlich stärker zur globalen Erwärmung beiträgt als jedes anderes Land, macht das Virus die Luft wieder frisch. Im Februar ist die CO²-Emissionen laut unterschiedlichen Expert*innen um unfassbare 25 Prozent zurückgegangen. Laut Spiegel reduzierte sich der kommerzielle Flugverkehr letzten Monat im Vergleich zum Vorjahr um 4,3 Prozent. Und auch die Erdöl-Nachfrage könnte Prognosen der Internationalen Energieagentur zufolge jetzt deutlich abnehmen.

Ein Virus verändert die Welt. Ein Virus verändert die Umwelt: Autos bleiben stehen, unnötige Geschäftsreisen werden verschoben, Shoppen ist plötzlich kein ganz so populäres Hobby mehr. Menschen ziehen sich zurück, wünschen sich raus aus der freiwilligen Quarantäne und rein in den Wald, fühlen den plötzlichen Drang, Bäume zu umarmen. Besser als keinen! Und vielleicht doch besser ma‘ bisschen schützen, diese Natur.

Und schon gibt’s neben all den Horror-Meldungen auch den ersten Jubel über die vermeintliche Königin Corona, gekommen, um endlich unser Klima zu schützen. Zu Recht? Wir sagen: Nicht wirklich! Sich zu freuen, dass die ohnehin schon unzureichenden deutschen Klimaziele für 2020 wohlmöglich Dank des Virus eingehalten werden können, da halten wir es mit Luisa Neubauer im ZDF, „ist moralisch und menschlich dermaßen unangebracht. Und zugleich strukturell falsch. Weil Klimaschutz bedeutet, dass Ziele gesetzt und durch stringente Maßnahmen erreicht werden. Das ist das einzige, worauf wir uns verlassen können.“

Worauf wir uns definitiv nicht verlassen können, das zeigt die Corona-Krise indes immerhin sehr deutlich, ist dass unsere Politik in Sachen Klimaschutz alles tut, was sie kann. Der Virus entblößt die Verweigerungshaltung, die die Bundesregierung gegenüber dem Einhalten des Pariser Abkommens, dem Kohleausstieg und Co. wirklich eingenommen hat. Spontanes Handeln? Nicht möglich! Gelder locker machen? Na, wie denn? Finanzierungspakete außer der Reihe schnüren, Sonderregelungen treffen oder schlicht: sich mal bewegen? Leider nicht drin. Von wegen!

Was wir zumindest hoffen können ist, dass Gesellschaft und vor allem die Entscheider*innen aus der Corona-Krise lernen, Expert*innen endlich ernst zu nehmen. Dass die Menschen verstehen, dass es auch in Zeiten von Google und ungebremster Informationsflut, trotz You-Tube-Tutorials und Online-Kursen durchaus noch Sinn macht, im Ernstfall eben denen zuzuhören, die sich seit Dekaden mit ihren Themen beschäftigen, die sich auskennen. Wirklich auskennen! Denen zuzuhören, die mit Sicherheit nicht „nur Panik machen“ wollen. Sondern wirklich wissen wovon sie sprechen. Und dieses Wissen dankenswerter Weise mit der Allgemeinheit teilen.

Aktuell befürchten solche Expert*innen – in diesem Fall die von der globalen Kooperationsplattform International Energy Agency (IEA) – übrigens, dass sich die globale Energiewende durch Covid-19 verzögern könnte. Fatih Birol, Exekutivdirektor der IEA, sieht die Regierungen in Zugzwang, grüne Investitionen zu nutzen, um wirtschaftliches Wachstum während der Virus-Krise zu bewirken. „Es gibt keinen Grund, sich über den Rückgang von Emissionen, ausgelöst durch eine Wirtschaftskrise, zu freuen, da dieser Rückgang aus Mangel an den richtigen Strategien und strukturellen Maßnahmen nicht zukunftsfähig sein wird“, sagt Birol gegenüber dem Britschen Guardian.

Schrumpfen jetzt die Emissionen, tun sie das unter anderem, weil die Wirtschaft einbricht. Und das ist nun wirklich nicht als klimapolitischer Schritt in die richtige Richtung misszuverstehen. Im Gegenteil: Wenn wegen Corona Investitionen wegfallen, verlangsamt das nämlich unter Umständen auch die ökologische Weiterentwicklung. Immer noch – oder eher noch mehr denn je – gilt jetzt: Wenn Wirtschaftswachstum, dann muss das unbedingt mit weniger CO2-Emissionen einhergehen!

Versteht uns nicht falsch, auch wir mögen unser Glas halb voll. Doch wer jetzt idealistisch verklärt „nur das Gute sieht“ und an das Virus als Wunder glaubt, dass uns bei allem Schrecken immerhin doch auch die unverhoffte Erlösung in Sachen Umweltzerstörung bringt, ist wahrscheinlich naiv. Und träge. Zu träge, um die Verantwortung für Ressourcen und Klima weiterhin auch im eigenen Lebensstil – und vor allem natürlich bei denen zu suchen, die sie tragen könnten. Und müssten. Schon lange. Bei unserer Politik! Dass uns die Pandemie zum Innehalten zwingt ist in vielerlei Hinsicht auch ein erfreulicher Umstand. Nur sollten wir die Zeit zuhause jetzt unter anderem dazu nutzen, uns zu fragen: Wieso schaffen wir das nicht von allein? Und first of all: Wieso, um alles in der lahmgelegten Welt, begreift unsere Politik Corona als Krise – den Klimawandel aber nicht?

Das dem defacto so ist, darüber haben wir bei all der Unsicherheit der vergangenen Wochen jetzt traurige Klarheit. Wir wissen jetzt: Wer will, der kann! Was schief läuft, auf diesem geschundenen Planeten, lässt sich in vielen Fällen verbessern. Schnell. Erheblich. Nachhaltig. Und es muss getan werden. No excuse! Auch und gerade während der Corona-Krise.

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  1. […] dem nicht viel. Zumindest nicht seitens der Politik, die mit ihrem Klima-Paketchen (im Gegensatz zu den Folgen des Corona-Virus) nicht wirklich in der Lage war, etwas am allgemeinen CO2-Ausstoß zu verbessern. Ein bisschen […]

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