#fairbylaw – Lisa Jaspers über ihre Kampagne und unsere Chance, die Politik zum Handeln zu zwingen

Slowfashion-Held*innen? Haben wir viele! Ganz vorne mit dabei ist aber vor allem eine: Folkdays-Gründerin Lisa Jaspers. Am Jahrestag des Fabrikunglücks von Rana Plaza fordert sie die Bundesregierung per Petition auf, ein Gesetz zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht einzuführen – zum zweiten Mal! Der ersten erfolgreichen Kampagne in 2018 folgte gestern eine zweite, begleitet von einer Aktion, bei der wir alle noch aktiver mitmachen können, Druck ausüben können, etwas tun dürfen. Lasst uns diese Chance nutzen, unterschreiben, Plakate ausdrucken, posten, nachhaken. Warum jetzt und ganz genau? Darüber haben wir mit Lisa gesprochen:

Was haben Menschenrechtsverletzungen in der Fastfashion-Industrie mit Nachhaltigkeit beziehungsweise Umwelt-  und Ressourcenschutz zu tun? 

Das jetzige Fast-Fashion-System, wie es sich über die letzten 20 Jahre entwickelt hat, ist an vielen Stellen u​n​nachhaltig.  Zum einen können wir nur so billig shoppen, weil aktuell zu extrem niedrigen Arbeitsstandards unter oft sehr schlechten Bedienungen auf der anderen Seite der Welt für uns produziert wird. Ich war selbst kurz nach dem Unglück im Viertel in Dhaka in Bangladesch, wo die Rana-Plaza-Fabrik stand, bevor sie einstürzte und die Armut, die ich dort gesehen habe, hat mich echt schockiert. Die meisten Familien hatten nicht mal eine Toilette und mussten am Rande des Flusses ihre Notdurft verrichten. Zum anderen ist die Kleidung, die wir kaufen, so billig, weil die Materialien und die Verarbeitung in der Qualität rapide abgenommen hat. Der Großteil der Kleidung, die wir heute kaufen können, ist aus Polyester oder irgendwelchen anderen minderwertigen Materialien gefertigt und von Anfang an darauf ausgelegt, dass Haltbarkeit keine Rolle spielt. Viele Kleidungsstücke werden ja von den Konsumenten auch nur noch zwei bis drei Mal getragen und landen dann im Müll oder liegen im Kleiderschrank rum. Für die mittlerweile massenhafte Entsorgung der Billigklamotten durch den normalen Hausmüll zahlt übrigens auch kein Unternehmen, sondern aktuell die Steuerzahler*innen, das heißt indirekt werden wir bereits an Kosten der Fast-Fashion-Industrie beteiligt, nur nehmen wir das nicht wahr.

Wieso reichen Textilbündnis und beispielsweise auch der neue grüne Knopf zum Bekämpfen dieser Zustände nicht aus, um die Zustände zu verbessern?

Initiativen wie das Textilbündnis, der grüne Knopf oder auch der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte zeigen, dass der Politik sehr bewusst ist, dass sich etwas ändern muss und das ist gut so. Gleichzeitig zeigen alle diese eher unverbindlichen Initiativen auch, dass Selbstverpflichtung von Unternehmen leider bisher wenig gebracht hat. So gibt es immer vorbildliche Unternehmen, die sehr viel tun und sich hohe Ziele stecken, und andere Unternehmen, für die diese Initiativen eher Möglichkeiten zum Green Washing sind. Eine wirklich große Veränderung ist nicht zu erwarten.

Es ist kein Zufall, dass die #fairbylaw Kampagne genau gestern online gegangen ist. Der Fashion Revolution Day ist mittlerweile ein gesetzter Begriff. Aber was hat sich seit Rana Plaza wirklich bewegt?

​Nach Rana Plaza war klar, dass sich politisch etwas verändern muss. Damals war bereits ein Gesetz im Gespräch. Diese Versuche wurden aber von der Industrie schnell weich gewaschen und aus der Initiative ist dann unter anderem das Textilbündnis entstanden. Dabei geht es aber eher darum, einen Diskurs zu starten und Unternehmen dazu zu bewegen, durch Selbstverpflichtung höhere Produktionsstandards zu erreichen. Die vorläufigen Resultate aus dem Textilbündnis zeigen leider, dass sich ohne Verbindlichkeiten wenig verändern lässt. Die Fashion-Revolution-Bewegung, die aufgrund des Unglücks von Rana Plaza entstanden ist, ist eine tolle und wichtige Bewegung. Viele kreative Menschen schließen sich jedes Jahr weltweit zusammen, um unter dem Claim „Who made your clothes“ aufzuzeigen, was schiefläuft. So traurig der Anlass ist: Das bewegt mich jedes Jahr aufs Neue.

Gab es auf Deine Petition im ersten Zug direkte Reaktionen aus Politik und Wirtschaft? 

Die Bundesregierung hat bislang nicht reagiert, weswegen wir den Druck erhöhen müssen, indem wir das Thema stärker in die Gesellschaft tragen. D​esshalb die zweite Auflage unserer ​P​etition zum diesjährigen Jahrestag von Rana Plaza. Renate Künast ist allerdings jetzt eine der Unterstützerinnen. Die Grünen positionieren sich ganz klar für ein Gesetz.

Wie ist generell der aktuelle Stand in Sachen Richtlinien und Gesetze?

Weil auch das Ministerium für Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) zu realisieren scheint, dass das ​von ihm in Leben gerufene ​Textilbündnis nicht die gewünschten Resultate erzielen wird, wurde im Ministerium bereits ein Gesetzesentwurf erarbeitet, der vor kurzem geleakt wurde. Das Problem wird sein, die anderen Ministerien dafür zu gewinnen, das Gesetz weder weich zu waschen noch komplett zu blockieren. Das wird nicht einfach, denn vor allem das Bundeskanzleramt und das Wirtschaftsministerium blockieren. Deshalb ist eine zivilgesellschaftliche Initiative wie unsere Petition so unglaublich wichtig und der Zeitpunkt ist perfekt.

Warum ist es dreist, wenn die Verantwortung immer wieder vor allem den Konsument*innen zugeschoben wird?

In den letzten fünf Jahren, seit ich Folkdays gegründet habe, saß ich oft – teilweise ja sogar mit Euch – in Diskussionsrunden und auf Panels zum Thema „Ethical Fashion“. Immer ging es dort um die Frage, wie wir es schaffen können, nachhaltige Mode aus der Nische zu holen und zum gesellschaftlichen Mainstream zu machen. Mich hat frustriert, dass die Diskussionen meist sehr einseitig geführt werden: Als Übel werden oft nicht nur die „unethischen“ Konsument*innen sondern auch die „bösen“ Unternehmen identifiziert. Auch wenn natürlich an beiden Perspektiven etwas dran ist, hat mir in den Diskussionen eine wichtige Dimension gefehlt: die politische. Als Konsument*innen würden wir in Deutschland nicht im Traum daran denken, Unternehmen die Aufgabe zu übertragen, national unsere Menschenrechte zu schützen. Das macht natürlich der Staat und so muss es auch sein. Absurderweise nehmen wir im Bekleidungsmarkt aber in Kauf, dass Unternehmen sich selbst dazu verpflichten, international gewisse Arbeitsstandards einzuhalten und somit die Menschen- und Arbeitsrechte von Produzent*innen in Entwicklungsländern zu schützen. Das ist doch verrückt! Um den Diskurs zu nachhaltiger Mode zu beeinflussen und zum Umdenken hinsichtlich besagter Verantwortungen anzuregen, habe ich vor genau einem letzten Jahr die Petition gestartet. Außerdem bin ich persönlich fest davon überzeugt, dass nur ein Gesetz wirklich eine Veränderung hervorbringen kann. Und da es beim Thema Arbeitsstandards, wie wir mittlerweile leider alle wissen, um Menschenleben geht, haben wir auch keine Zeit, ewig auf eine Veränderung des Marktes zu warten. Manchmal ist es sinnvoll, gerade in unserer Berliner Blase, sich bestimmte Zahlen vor Augen zu führen: Bio-Lebensmittel machen in Deutschland immer noch weniger als zehn Prozent des gesamten Lebensmittelmarktes aus. Die Bio-Bewegung gibt es seit über 30 Jahren. Der nachhaltige Textilmarkt liegt weit unter einem Prozent. Das heißt, wir brauchen ein Gesetz, wenn wir nicht 100 Jahre warten wollen.

Wieso müssen auch wir Konsument*innen trotzdem etwas tun? 

​Obwohl die Fast-Fashion-Industrie ein relativ neues Phänomen ist, haben sich viel zu viele Menschen bereits daran gewöhnt, dass Kleidung keine Wertigkeit mehr hat. Es wird schnell und viel konsumiert und die wenigsten achten beispielsweise auf so etwas wie die Verarbeitungsqualität oder die Materialzusammensetzung der Kleidung, die sie kaufen. Sich selbst bewusst zu machen, dass der Zugang zu Billigklamotten nicht selbstverständlich und auf Kosten von Natur und Produzenten geht, ist, glaube ich, ein erster Schritt. Und sich dann bewusst dazu zu entscheiden, eher weniger, aber dafür hochwertig zu kaufen, ist der nächste. Ich habe mal das schöne Sprichwort gehört: Only rich people can afford poor stuff. Man spart nicht unbedingt Geld, indem man Billigkleidung einkauft, denn die hält einfach nicht lange. In Befragungen zum Thema „Fast Fashion“ geben viele der Befragten schon an, dass ihnen bewusst ist, dass ein Großteil der Kleidung zu schlechten Produktionsbedingungen hergestellt wird. Laut dieser Befragungen sind viele Menschen willens, ​bis zu ​20 Prozent mehr für ihre Kleider zu bezahlen, wenn sie dadurch sicherstellen könnten, dass diese unter fairen Bedingungen hergestellt w​urden​. Das Angebot ist aktuell noch ein echtes Problem, denn es gibt wenige Fair-Fashion-Label, vor allem, wenn man nicht gerade in Berlin oder München wohnt. Die Verfügbarkeit kann natürlich krass erhöht werden, wenn große Textilunternehmen nicht mehr die Wahl haben, Mindeststandards in der Textilproduktion einzuhalten.

Hast Du das Gefühl, dass das ganze Thema-Mainstream relevanter wird, aus der Öko-Ecke raustritt – und so vielleicht auch der Druck erhöht wird?

​Für die erste Petition haben wir vor allem unsere Berliner Bubble mobilisieren können. Das hat gut funktioniert, aber sehr viele Menschen haben von der Petition und erst recht von dem Thema „Sorgfaltspflicht bei Unternehmen“ noch nie etwas gehört. Deshalb müssen wir die Petition nun stärker in die Breite tragen, weswegen wir uns viele Supporter*innen gesucht haben, die uns genau dabei helfen. ​

Wie zufrieden warst Du mit den Unterstützer*innen Deiner Kampagne?

​Wir hatten letztes Jahr sehr wenig Vorlauf für die Change.org-Kampagne und ich war erstaunt, dass wir es in kürzester Zeit geschafft haben, über 100.000 Unterschriften zusammenzubekommen. ​Ichglaube, wir sind mit dem Thema am Zahn der Zeit, weswegen das Zeitfenster für die zweite Auflage umso wichtiger ist. Wenn wir jetzt genug Druck machen, muss sich die Politik bewegen!

Wie geht’s ab jetzt weiter?

​Die zweite Auflage wurde gestern gelauncht und wenn wir viel Glück und Unterstützung haben, schaffen wir es, viele, viele Menschen dazu zu bewegen, die Petition zu teilen und zu unterschreiben. Wenn wir genug Menschen mobilisieren können, muss sich die Bundesregierung zu dem Thema äußern.

Welches wäre Dein Traumziel?

Es wäre ein Traum, wenn wir es schaffen, dass eine Millionen Menschen die Petition unterschreiben. Das ist ein hohes Ziel, aber wir glauben daran, dass wir das gemeinsam erreichen können. Und das Übergeordnete Ziel ist natürlich die Verabschiedung eines Gesetzes, das zumindest erst einmal deutsche Unternehmen endlich dafür haftbar macht, was in den eigenen Wertschöpfungsketten passiert.

Liebe Lisa, vielen Dank für das Gespräch – und natürlich für Deinen Einsatz. 

Interview: Anna Schunck

Fotos / Video / Kampagne: Dasprogramm

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