Warum dieser Artikel wichtig ist:
Donnerstag ist Weltwassertag – Grund genug, über den globalen Iststand nachzudenken. Dass dieser ausgerechnet in Bezug auf Mode besonders besorgniserregend ist, gerät oft in Vergessenheit. Zum Glück gibt’s Leute, die uns ab sofort fundiert daran erinnern.
Wieviel Wasser hängt eigentlich in Eurem Kleiderschrank? Keine Ahnung? Wir auch nicht! Denn weil’s zuhause zwischen all den Socken, Shirts und Jeans ja bestenfalls angenehm trocken ist, liegen in Sachen nachhaltiges Modebewusstsein erstmal eher andere Themen auf der Hand. Ob die Teile fair produziert wurden, zum Beispiel. Oder aus welchem Material sie sind. Interessanter Weise hängen beide Fragen tatsächlich ziemlich eng mit der Wasserfrage vom Einstieg zusammen. Denn gleich nach der ekligen Öl-Branche ist die Textilindustrie die zweit-wasserverschmutzendste Industrie der Welt. Huch! Und das bei wachsender Wasserknappheit. Ein viel vergessenes Thema – über das es sich offenbar zu reden lohnt.
Zum Beispiel mit der Non-Profit-Organisation Drip by Drip, einem Verein, der nicht nur Aufmerksamkeit für ein in Vergessenheit geratenes Thema schafft, sondern vor allem Wasser-, Abwasser- und Sanitärprojekten in den Ländern unterstützt, in denen die globale Textilindustrie besonders präsent ist. Der Verein gehört einem internationalen Netzwerk an, das Wissen über den Zusammenhang zwischen Fast Fashion und Wasserressourcen ermittelt und teilt. Darüber hinaus hat Drip by Drip einen neuen Stoff aus Modal und Hanf entwickelt, der an jedes Label und jeden Hersteller weitergegeben wird, der Kleidung machen möchte, die Wasser gibt, anstatt es zu nehmen.
Und als wäre das alles nicht schon genug, greift Drip by Drip auch gleich noch von einer weiteren Seite an: mit dem neuen eigenen Modelabel Blue Ben. Bei Startnext beginnt heute die Crowdfunding-Kampgane zur offiziellen Gründung, bei der Ihr einen der ersten kompostierbaren Blue Ben-Sweater aus besagtem Blue Fibre bekommen könnt, der 90 Prozent weniger Wasser verbraucht, als ein Pulli aus Baumwolle. Später wird es bei Blue Ben vor allem Essentials geben. Das sind bewusst keine Basics, die man sich mitunter auch mal in 20 Farben zulegt, sondern Sachen, die wir wirklich brauchen. Denn auch für Blue Ben ist weniger Konsum der beste Schritt zum Bessermachen.
Wie’s sonst so läuft mit diesem Bessermachen, was die beiden antreibt, warum’s nicht ohne drastische politische Entscheidungen geht und wieso es nie zu spät dafür ist, das eigene Handel zu überdenken, darüber haben wir mit Drip by Drip-Initiator Ali Azimi und seinem Freund und Blue Ben-Cofounder Benedikt Fuhrmann gesprochen. Here we go:

Lieber Ali, lange bevor Du Label und Verein gegründet hast, hast Du bei Zara gearbeitet. Wusstest Du damals schon, welchen Impact die Fashion-Industrie auf Menschen und Umwelt hat?
Ali: Nein. Aber dann kam Rana Plaza. Der Einsturz der Textilfabrik hat mich sehr beschäftigt. Ich habe mir dann die Doku „The True Cost“ angeschaut. Das war der Wendepunkt – und das war dann in der Tat auch der Punkt, an dem ich zum ersten Mal darüber nachgedacht hab’, wie viel Wasser in der Mode, besonders eben in der Baumwollproduktion, steckt. Ich bin auf Fakten gestoßen, zum Beispiel auf die Tatsache, dass der Aral See in Kasachstan eigentlich komplett verschwunden ist, nur auf Grund dieser Baumwollproduktion! Das hat mich dazu bewegt, immer tiefer in das Thema einzusteigen – und letztlich wirklich was ändern zu wollen.
Obwohl das Thema Fast Fashion ja zum Glück gerade eine so große Wella an Aufmerksamkeit bekommt, ist die Wasserwelle ja damit nicht unbedingt einhergegangen. Warum ist das Problem Wasserverbrauch so wenig präsent?
Ali: Ich hab’ keine Ahnung. Fakt ist vor allem, dass es dazu leider bisher erst ganz wenige Informationen gibt.
Generell liegt die allgemeine Aufmerksamkeit unseres Erachtens nach gerade ja sehr auf Fairness, sprich Ethik, angemessene Bezahlung und so weiter – super wichtig, klar. Aber wir denken bei Viertel \ Vor immer auch an den Umweltaspekt. Denn wenn die Ressourcen aufgebraucht sind, wird’s ja quasi unfair für alle…
Bene: Das stimmt. Wir leben in einer Zeit, wo wir weltweit Wasserknappheit haben. Auch in Europa! Und das ist eigentlich das schockierende, dass offenbar kaum jemandem bewusst ist, dass wir auf eine Ressource zurückgreifen, die begrenzt ist. Wir denken, nur weil’s regnet, sei Wasser immer vorhanden. Aber Trinkwasser ist endlich! Und die nächsten großen Wasser-Krisen die kommen werden, werden mehrere hundert Millionen Menschen und ganze Länder betreffen. Wenn diese ganzen Leute Wasser wollen, dafür vielleicht ihre Heimat verlassen müssen, dann geht’s plötzlich schlicht und einfach auch um den globalen Frieden.
Ist das ein Klimawandelproblem?
Bene: Auch. Aber eben nicht nur. Denn wenn wir über Wasser sprechen, müssen wir unbedingt auch über die Vergiftung von Wasser durch Chemikalien in der Modebranche sprechen. Und generell über die Verschmutzung von Gewässern durch Mikroplastik, zum Beispiel. Das Thema ist leider sehr vielschichtig.
Ihr findet also, dass der Umgang mit Wasser ein Riesen-Problem ist, dass dringend eine Awareness-Kampagne braucht?
Ali: Ja. Wegen des besagten fehlenden Bewusstseins. Und weil kaum jemand hier weiß, dass das was wir tragen anderswo das Trinkwasser massiv verschwendet und verseucht.
Was bedeutet das konkret?
Ali: Ein konventioneller Sweater benötigt vom Rohstoffanbau bis zur Produktion Produktion zum Beispiel zwischen 3.500 und 8.000 Litern Wasser. Ein Kilogramm Baumwolle kann schlimmstenfalls zwischen 7.000 und 29.000 Liter verbrauchen, je nach dem, woher die Baumwolle kommt. Der weltweite Wasser-Fußabdruck dieses Materials wird insgesamt auf über 210 Billionen Kubikmeter, sprich 210.000 Liter im Jahr geschätzt – und hauptsächlich in Regionen verbraucht, in denen das Trinkwasser ohnehin schon knapp ist. Darüber hinaus ist Baumwolle verantwortlich für 25 Prozent aller Pestizide. Und fast alle davon fließen ins Grundwasser. Man merkt schnell: Vor allem dieses Material ist wirklich problematisch. Deshalb wollen wir für unser Label Blue Ben keine Baumwolle. Auch keine Bio-Baumwolle. Bio-Baumwolle ist auch nicht die Lösung.

Welche wäre die Lösung?
Ali: Gute Frage (lacht). Eine Lösung kann sein, mit der Mode-Produktion generell nicht mehr in Länder zu gehen, wo das Wasser knapp ist und als Trinkwasser und für den Lebensmittelanbau dringender gebraucht wird als für alles andere. Wir müssen eigentlich jede Fashion-Produktion in Länder verlegen, die genug Wasser haben. Und das sind eben nicht Indien oder Bangladesch oder China, wo die Flüsse schon jetzt zu 70 bis 80 Prozent komplett verseucht sind.
Wer kann dafür sorgen, dass das passiert? Können das die Brands machen, muss das die Politik machen…
Ali: Das kann nur die Politik machen.
Bene: Da braucht es dringend neue Gesetze. Aktuell ist ja noch nicht mal vorgeschrieben, dass wenn 100 Prozent Baumwolle irgendwo draufsteht auch 100 Prozent Baumwolle drin ist. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass die Politik auch gute Schritte macht oder gemacht hat – nur ist die Industrie so mächtig, dass viele gute Vorstöße direkt wieder eingedampft wurden. Und deshalb sage ich: Vor allem muss die Politik aufhören, sich von der Industrie unter Druck setzen zu lassen. In allen Branchen!
Haltet Ihr das für eine realistische Entwicklung?
Bene: Ne.
Ali: Ich halt’s für realistisch – indem man Druck aufbaut. Aber das kann man eben nicht als ein Label und auch nicht als eine Institution. Was es braucht ist ein Bündnis. Ein Bündnis der Kleinen, auch in London, Paris, Amsterdam… Die großen Ketten und Labels muss man da erst Mal raus lassen.
Ihr denkt also an eine europaweite Bewegung?
Ali: Natürlich. Es geht um ein globales Problem! Und genau deshalb haben wir beschlossen, ein Label zu gründen, das so gut es geht nachhaltig in Europa produziert. Und gleichzeitig haben wir den Verein gegründet, der diese politischen Aufgaben übernehmen soll. Denn ein Modelabel, egal wie eco-fair es ist, ist nicht politisch! Es erfüllt keinen Bedarf. Und genau da wollen wir trennen – und ansetzen. Ohne unternehmerisches Interesse. Um etwas zu verändern und einen anderen Standard zu schaffen. Auf ganz lange Sicht dann hoffentlich auch für die großen Brands und Ketten.
Und die Konsumenten? Kann man den Mainstream mitnehmen und auch dazu bewegen, einen gewissen Druck aufzubauen? Oder geht es Euch mit Euren Projekten rein um den Zusammenschluss der Labels und den politischen Zusammenschluss von Leuten, die sich eh schon interessieren?
Bene: Der Name Drip by Drip sagt ja schon, dass wir durchaus daran glauben, die Dinge schrittweise verändern zu können. Und allein die Tatsache, dass Ali mal bei Zara gearbeitet hat, zeigt ja, dass es geht. Fakt ist, dass wir alle jeden Tag die Möglichkeit haben aufzustehen und eine andere Entscheidung zu treffen.
Ist Mode ein besonders guter Bereich, um solche Entscheidungen zu fördern, weil Fashion ein Thema ist, das jeden interessiert?
Ali: Ja, eins dass alle betrifft. Ich glaube mittlerweile nicht mehr unbedingt, dass wir durch den Konsum viel verändern können. Aber ich glaube, dass wir in den Köpfen vieles verändern können.
Habt Ihr auf dem Weg bis hierher trotzdem auch schon mal gedacht: Puh, was machen wir hier eigentlich?
Ali: Absolut. Ich bin da oder wir sind da durch eine knallharte Zeit gegangen. Weil es wirklich nicht so einfach ist, etwas anders zu machen. Es gab Zeiten da habe ich gedacht, vielleicht ist es besser einfach gar nicht zu machen.
Warum machst Du’s trotzdem noch? Was treibt Euch an?
Ali: Berührungspunkte. Gespräche wie dieses, die Hoffnung, dass Ihr mit anderen drüber sprecht. Dass das Bewusstsein wächst, dass sich Verhalten ändert, dass sich dadurch etwas verändert. Dass Leute sich verändern. Dass passiert nicht dadurch, dass sie ein Produkt kaufen. Aber das Produkt führt vielleicht zu einer Veränderung im Kopf.
Und gab es einen Punkt bis zum heutigen Crowdfunding-Start an dem Ihr gemerkt habt: Ok, jetzt läuft’s?
Ali: Ich hab’s glaub ich gemerkt, als immer mehr Leute dazu kamen. Klar, kann auch alles noch schief gehen, wir wissen nicht wie die Kampagne heute anläuft. Aber wenn zehn Leute an einer Sache arbeiten, Leute mit einer so radikalen Haltung wie Bene, Unternehmen mit viel Erfahrung, wie unser Partner in Portugal – wenn die das alle gut finden, dann kann es doch nicht schlecht sein!
Bene: Sehe ich auch so. Und Ali, ich verstehe wenn Leute das so sagen, aber ich selbst halte mich gar nicht für so radikal! Ich sage einfach nur klar meine Meinung und die ist zum Beispiel: Wenn wir Kleidung herstellen, die nicht kompostierbar ist, dann ist das ein Verbrechen!
Ist das vielleicht das Schöne, was gerade passiert, dass sich zu so wichtigen Weltrettungs-Themen aktuell ganz verschiedene Menschen zusammenfinden? Weil die Hemmschwelle vielleicht niedriger wird, wenn sich die Diehard-Ökos mit denen zusammentun, die eben noch eher konventionell konsumiert haben?
Bene: Vor allem ist es glaube ich nicht schlecht, wenn sich Branchenfremnde zusammentun, um etwas zu bewegen. Das gibt einen frischen Blick und fördert Innovationen. Darüber hinaus glaube ich leben wir in einer Zeit, in der sich das globale Bewusstsein verändert. Wir befinden uns in einem Erwachungsprozess.
Der insgesamt aber noch eher langsam anläuft, oder?
Ali: Ja. Aber er läuft. Und generell halte ich es dabei für klüger, den Mainstream zu imitieren, um weiter zu kommen. Deshalb ist Blue Ben ein Modelabel, kein soziales Unternehmen. Wir wollen Mode machen. So, dass es Mensch und Erde nicht schadet. Aber es muss gut aussehen. Sonst funktioniert es nicht.
Habt Ihr eine Vision für den Fall, dass es sehr gut funktioniert? Nächstes Jahr Weltwassertag: Wo wollt Ihr da sein?
Ali: Einfach präsenter sein, vielleicht auf Messen. Und den Weltwassertag wollen wir noch größer machen. Das ist echt ne Herkules-Aufgabe mit so vielen Ehrenamtlern. Ich wünsche mir, dass wir als Lohn für unsere Arbeit unser Thema in die Öffentlichkeit bekommen können.
Bene: Und die Vision, so in 50 Jahren, die sieht dann so aus, dass natürliche Fasern in der Textilindustrie Standard sind. Und das man globale Entscheidungen trifft. Auch im Bezug darauf. Dass man Knowhow teilt und wichtiges Wissen allen zur Verfügung stellt.
Momentan sieht’s ja leider weder so aus als würde es unserer Umwelt bald besser gehen, noch als würde die Welt zusammen rücken. Was lässt Euch trotzdem daran glauben?
Bene: Dass ich etwas verändere.
Ali: Dass es keine Alternative gibt.

Alle Berliner, die mehr zu dieser Alternative und generell zum Thema wissen wollen, kommen am Donnerstag, 22. März, zum Weltwasser x Fashion Day, hosted by Drip by Drip. Neben vielen weiteren Programm-Highlights hosted Anna ab 19 Uhr ein Panel zum Thema „Die Gegenwart – Der Wasserfußabdruck der Textilindustrie“. Speaker: Drip by Drip-Vorsitzende Valeria Corallo, Viva con Agua de Sankt Pauli, Anne Neumann von Femnet und Natalia Finogenova vom InoCotton Grow Projekt des Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Technische Universität Berlin. Der Eintritt ist frei – kommt alle vorbei!
FOTOS: Anna Schunck
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