SIND WIR ZU FAUL UM BEWUSST EINZUKAUFEN, MILENA GLIMBOVSKI?

„Wir waren nicht die ersten, aber die lautesten“, sagt Milena Glimbovski. Gut eineinhalb Jahre ist es jetzt her, dass sie Deutschlands zweiten verpackungsfreien Supermarkt Original Unverpackt eröffnet hat. Mit einem unfassbaren Medien-Echo – und mit riesigem Erfolg. Allein im ersten Jahr haben mehr als 36.000 Menschen in dem schönen Laden an der Wiener Straße in Berlin Kreuzberg eingekauft. Heißt: Allein beim Verkauf von Tomaten wurden mehr als 25 Kilo Plastikmüll eingespart. Damit könnte man wahrscheinlich den Vorraum von OU komplett ausstopfen. Die Less-Waste-Idee gefällt laut Milena nicht nur dem klassischen Öko, sondern ganz verschiedenen Kunden, von der schicken WG bis zur Omi von nebenan. 611 Kilogramm Müll pro Kopf und Jahr sind vielen einfach zu viel. Deutschlandweit eröffnen deshalb immer mehr verpackungsfreie Supermärkte. Aber: Die ganz große Masse rennt leider trotzdem immer noch in die großen Discount-Ketten. Warum?

Liebe Milena, bei Euch läuft’s ja gut ohne. Wozu braucht man in anderen Läden überhaupt Verpackungen?

Zum Schutz. Gerade wenn Obst und Gemüse nicht regional produziert sondern im LKW durch ganz Deutschland transportiert wird, dann könnte es natürlich beschädigt werden. Auch wir bei OU haben Lieferverpackungen. Natürlich nicht aus Plastik und meistens mehrweg. Aber lose Lebensmittel müssen grob verpackt werden, damit man sie überhaupt transportieren kann, ohne dass sie beschädigt werden – und ohne dass sie sich mit anderen Sachen vermischen. Verpackung ist außerdem Marketing. Der Punkt „diese Verpackung gefällt mir aber besser als die andere“, trägt für viele durchaus zur Kaufentscheidung bei.

Gibt es oft auch den Trugschluss: Unverpackt gleich weniger hygienisch?

Sicher, das ist so sehr gelernt. Sachen die schon offen sind gelten für viele als weniger frisch. Und die Frage „Wie hygienisch ist das eigentlich“ wird uns tatsächlich immer wieder gestellt.

Antwort?

Natürlich ist es sehr hygienisch bei uns! Im Laden sind außer Obst und Gemüse alle Lebensmittel in Behältern und können nicht angefasst werden. Und alle paar Monate kommt auch das Gesundheitsamt zum Kontrollieren rum.

Original Unverpackt_ Jendrik Schröder_ Foto6

Nun gibt es auch sehr viele Leute, die das wissen – und die generell wissen, wie nachhaltig einkaufen geht. Warum machen die meisten es trotzdem nicht?

Ich denke viele glauben, dass diese ganze Nachhaltigkeitssache viel zu groß und zu schwer für sie ist. So schwer, dass sie erst gar nicht damit anfangen wollen. Jeder hat seine Ausreden: Ich hab‘ so viel zu tun, ich hab‘ nicht auch noch Zeit den Müll zu trennen oder selber zu kochen. Und natürlich: Bio-Essen ist so teuer. Ein weiterer Punkt ist die Bequemlichkeit. Man ist zu faul einen Coffe-to-Go-Becher oder einen Jutebeutel einzupacken, zu faul sein Verhalten zu ändern – und erst recht ernsthaft darüber nachzudenken was man anders machen könnte. Das ist leider Tatsache.

Sprichst Du da aus Erfahrung? Was würdest Du generell gern machen, tust es aber noch nicht?

Ich würde gern noch mehr Second Hand kaufen. Nicht nur Kleidung, sondern auch Gegenstände. Das finde ich wichtig. Ich hatte zum Beispiel noch nie’n neues IPhone.

Mit dem Effekt…

… einer viel höheren Nachhaltigkeit. Weil alles was man gebraucht kauft ja schon hergestellt wurde – und nicht wieder neu hergestellt werden muss. Bei Klamotten ist es meines Erachtens sogar besser einen fertigen, gebrauchten Pullover zu kaufen als einen, der aus Upcycling-Material hergestellt wurde. Fakt ist: Reuse ist das Beste, Upcycling ist besser als gar nichts und erst lange lange danach kommt wegschmeißen. Idealerweise sollte man gar keine Sachen erwerben oder besitzen, die man nicht wieder in diesen Zyklus einbringen kann. Wie zum Beispiel Plastikmüll.

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Wie bekommt man noch mehr Menschen zum Reflektieren?

Das ist die große Frage – in allen großen Debatten. Und das weiß ich tatsächlich auch nicht. Wichtig finde ich da die Verantwortung nicht abzugeben, nicht zu denken, ich bin Gottes Geschenk an die Erde. Es ist nämlich andersrum! Jeder sollte sich dann und wann mal Gedanken darüber machen, was er tun kann, damit die Welt auch nach ihm noch besteht. Es ist jedermanns und jederfraus eigene Entscheidung wie er oder sie konsumieren will. Aber um diese Entscheidung zu treffen, brauchen wir Entscheidungsmöglichkeiten.

Und die haben wir natürlich in alle Richtungen. Welchen Luxus unserer Alles-ist-möglich-Welt gönnst Du Dir persönlich, obwohl Du weißt, dass er nicht nachhaltig ist?

Chips. Da gibt es zwar schon einige Packungen die wie Papier aussehen – aber die sind auch nicht wirklich umweltfreundlich…

Ist es gerade ein Trend, Lebensmittelverpackungen umweltfreundlich aussehen zu lassen, obwohl sie’s nicht sind? 

Ja. Weil das gut funktioniert, um das Verbraucher-Gewissen zu beruhigen. Die großen Ketten wissen, sie haben für eigene Bio-Linien und natürlich oder nachhaltig wirkende Produkt-Verpackungen eine Zielgruppe. Damit wollen sie nicht die Welt besser machen. Damit machen sie Gewinn. Diese Entwicklung ist ziemlich unschön. Die Devise vieler Hersteller lautet: Beruhigt die Leute und ihr Gewissen. Und die Folge ist, dass die Verbraucher, sobald sie eine nachhaltig aussehende Verpackung in der Hand halten, nicht mehr über die Inhaltsstoffe nachdenken.

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Welche Faustregel für mehr Nachhaltigkeit kann sich jeder für den Supermarkt merken?

Für eine einzige Faustregel ist das Thema Nachhaltigkeit leider zu umfangreich. Um nur beim Beispiel Ernährung zu bleiben, sollte man sich beim Einkaufen immer fragen: Wo kommt das Essen her? Wo wurde es verarbeitet? Wie ist die Lieferkette? Wie der Nährwert? Regionalität sollte dabei immer am Wichtigsten sein, am zweitwichtigsten wäre, dass die Sachen bio sind. Und Nummer drei: Am Besten gar nichts Fertiges kaufen.

Nimmt die Nachfrage nach regional, biologisch und frisch produzierten Lebensmitteln zu?

Die Nachfrage kommt gerade durch zunehmendes Verbraucher-Interesse – auch durch die Medien. Es gibt immer mehr Hintergründe. Und die Verbraucher wollen zunehmend Informationen.

Ist es für Dich vorstellbar, dass Verpackungsfreiheit auf lange Sicht auch für große Ketten möglich werden könnte?

Ja, aber wirklich erst auf sehr lange Sicht. Schon allein weil ich weiß, wie schwer wir es teilweise mit Logistik und Auflagen hatten und haben.

Zum Beispiel?

Kunden nehmen sich zu viel – wir dürfen das aber nicht zurück schütten. Generell ist die Arbeit bei OU eher betreuungsaufwändig. Und obwohl ich es mir wünsche: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ’ne Mitarbeiterin bei einer Kette dafür ausgebildet wird, diese Kundenbetreuung dauerhaft so umzusetzen.

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Du bist mittlerweile Expertin auf Deinem Gebiet und ein Vortrag „Einkaufen im Jahr 2025“ Wie wird es dann sein?

Ich rechne mit zwei Entwicklungen. Die eine ist schnell und digital, sprich vieles wird sicher online bestellt und ausgeliefert – in der Stadt möglichst per Fahrradkurier.

Die zweite ist die, dass sich die Menschen viel mehr Zeit nehmen werden, um auszuwählen was sie einkaufen möchten. Ich denke, dass das Kleine, Lokale, Traditionelle wieder zunimmt – gerade als Gegenpool zum online Einkaufen.

Siehst Du einen gewissen Trend back to the Roots – und damit auch eine Chance hin zu mehr Nachhaltigkeit?

Schon, weil ich glaube, dass man sich in unserer beschleunigten Zeit zunehmend darauf besinnt, was wirklich wichtig ist.

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FOTOS: Original Unverpackt

VIDEO: Marcus Werner

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Ein Kommentar

  1. Wirklich ein sehr spannendes Interview! Ich finde es schade, dass viele Discounter und Supermärkte den Nachhaltigkeits-Trend nur „ausnutzen“ und glaube, dass da auch ein großes Problem liegt – denn viele von uns kaufen diese Produkte ja gerne, weil diese Produkte uns eben angeboten werden und man damit ganz normal wirkt – und normal sein ist bequem. Wenn ich z.B. beim Lidl mein Brot aus der Brottheke in einen Stoffbeutel tue und ansonsten nur die „Single-Bananen“ und das „hässliche“ Obst und Gemüse kaufe, komme ich mir echt komisch vor, aber so kann ich zumindest etwas nachhaltiger einkaufen, ohne dass es für mich teurer wird oder ich extra den Umweg zum Unverpackt-Laden machen muss. Ich glaube, eigentlich könnte das jeder, wenn nicht alle Angst hätten, dass sie komisch wirken, und es unbequem fänden, den Stoffbeutel mit dem Brot an der Kasse nochmal zu öffnen…

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  2. […] Der erste verpackungsfreie Supermarkt Berlins (und zusammen mit Unverpackt Kiel auch einer der ersten in Deutschland) ist noch keine zwei Jahre alt und hat doch längst eine treue Fangemeinde – auch über die Grenzen der Hauptstadt hinaus. Nicht zuletzt auf Grund der Geschäftsführerin: der Einkaufsexpertin, Speakerin und Powerfrau Milena Glimbovski. […]

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