Stichwort große Größen: Warum mein 15-jähriges Ich wohl weiter bei Primark shoppen würde

Heute kaum mehr vorstellbar, aber wahr: mit 15 folgte ich der Facebook-Seite „Wir wollen einen Primark in Berlin“. Wenig später wurde die Eröffnung der ersten Billig-Fastfashion-Filiale in Deutschland gefeiert wie ein Pop-Konzert. Schon damals, noch vor Rana Plaza und einer breiteren Aufmerksamkeit für die unhaltbaren Zustände in der Mode-Industrie, sagte meine beste Freundin, dass die Klamotten bei Primark deshalb nicht gegen Ladendiebstahl gesichert sind, weil das mehr kosten würde, als wenn jemand sie stahl. Trotzdem fühlte ich mich schnell wohl, als ich in den überfüllten Laden trat: Das erste Mal ging ich shoppen – und passte in die Kleidung. Primark bot Größen bis 46 an. Etwas, das bei eco-fairen Marken bis heute eine Seltenheit ist. Leider!

Ich war Teenager in Berlin, Mode interessiert und stark übergewichtig. „Knapp dreistellig“, sage ich heute nur noch, wenn mich jemand danach fragt. Bei Primark fand ich das erste Mal in meinem Leben die Shorts und Röhrenjeans, die 2012 jeder trug. Vorher hatte ich nur Leggings und ein paar Bootcut-Varianten aus dem Übergrößenladen besessen. Der Blick in den Umkleidekabinen-Spiegel, Frust und Enttäuschung, dass wieder nichts passt waren vor Primark Teil meiner normalen Einkaufserfahrung.

Was die Körpermaße betrifft, ist die Passform für mich mittlerweile kein Problem mehr. Das generelle Problem aber besteht trotzdem weiter. Und zwar insbesondere, wenn man fair einkaufen möchte. Große Größen gibt es kaum. Bekannte, gute, schicke eco-faire Brands, wie zum Beispiel Armedangels, Kings of Indigo, bleed und Kuyichi bieten als größte Jeansweite für Damen jeweils die 34 an, das entspricht Konfektionsgröße 44 – der ungefähren derzeitigen Durchschnittsgröße für deutsche Frauen. Nudie hat dankenswerter Weise Weiten bis 38, diese ist aber bei so gut wie allen Modellen ausverkauft. Und kleinere Brands fertigen aus Kostengründen oft nur von S bis L. Wer mehr braucht, muss sehen, wie er oder sie klar kommt.

Natürlich sind Second Hand Läden als Slow Fashion-alternative inklusiver. Allerdings bieten die größeren Größen dort auch nicht immer unbedingt das, was ich mir als Fashion vorstelle – und erst recht nicht das, was ich damals cool fand. Wo sollen Mädchen und Frauen jenseits der 42 also ihre Kleidung kaufen? Sollen sie sich weiter gezwungen fühlen, für modische Teile in ihrer Größe zu Fast Fashion-Ketten, schlimmstenfalls zu Primark zu gehen?

Natürlich wissen wir, dass die meisten eco-fairen Fashion-Firmen nicht absichtlich Kund*innen diskriminieren, die vom gesellschaftlich gängigen Schönheitsideal abweichen. Wir wissen, dass die Stückzahlen schlichtweg kleiner sind als bei den Fast Fashion-Riesen, die mit Dumping-Lohn-Arbeitskräften am Fließband hunderttausende Shirts in verschiedenen Weiten, Längen und Formen produzieren können. Und trotzdem kritisieren wir den gegebenen Teufelskreis: Kleinere Mode-Unternehmen können es sich nicht leisten, für die gesamte Vielfalt an Körperformen herzustellen und wenn doch werden die einzelnen Teile auf Grund der geringeren Nachfrage teurer. Gleichzeitig – das ist Fakt – brauchen eco-faire Labels und Läden genau dieses Sortiment, um endlich in der Mitte der Gesellschaft anzukommen: Bei der Durchschnittsfrau mit Größe 44. Und potenziell drüber.

Natürlich hatte ich als Teenager mit „potenziell drüber“-Maßen mehrere Gründe, nicht in eco-fairen Läden shoppen zu gehen. Zunächst mal, weil es davon damals noch lange nicht so viele gab, wie heute. Generell war mir, wie so vielen von uns, vor acht Jahren noch nicht so klar bewusst, was herkömmliche Läden im Herstellungsprozess der Kleidung für einen Schaden anrichten. Und auch das Geld für bessere oder fairere Mode besaß ich nicht. Doch während mein Bewusstsein zusammen mit dem der breiten Masse wächst, Slow Fashion aufgrund wachsender Nachfrage sogar günstiger wird, hat sich der Grundaspekt trotz #bodypositivity in all der Zeit eben noch nicht wirklich gewandelt.

Und dabei hört die fehlende Inklusivität noch nicht mal bei der gesellschaftlichen Normvorstellung von Frauen-Größen auf, das zeigte jüngst unter anderem der Diversitäts-Think Tank der Fashion Changers. Auch mein Freund zum Beispiel hat heute noch das Problem, fast niemals faire und passende Kleidung zu finden: Mit knapp zwei Metern Länge gibt’s bei den meisten Slow Fashion-Labels einfach keine Pullis, bei denen ihm die Ärmel bis zum Handgelenk reichen. 

Ja, ja, wir wissen, Step by Step und natürlich unterstützen wir immer auch die kleinen Schritte. Ein wirklich großer aber wäre, wenn Eco-Fair Fashion sich endlich traut, nicht nur ethisch und klimatechnisch dem gesellschaftlichen Standard den Kampf anzusagen, sondern auch dem gängigen Schönheitsideal.

FOTOS: Marcus Werner

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Ein Kommentar

  1. liebe Mina,

    ein wirklich guter Artikel, der mir aus der Seele spricht. Mein Freund, ebenfalls knapp 2 Meter hoch wie breit findet im Fair Fashion Sektor leider auch nicht viel.
    So wie es ein Hirmer Große Größen für Fast Fashion gibt, hoffen wir, dass auch jmd auf die Idee kommt sowas für nachhaltige Mode zu anbieten.

    LG
    Marta

    Antworten

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