Zero Waste Küche: Warum es bei Sophia Hoffmann keine Reste gibt

Mehr als 18 Millionen Tonnen Nahrungsmittel landen in Deutschland jedes Jahr auf dem Müll  – 40 Prozent davon kommen aus Privathaushalten. Wir verschwenden Rohstoffe, Energie, Ackerfläche und nicht zuletzt auch unser Geld. Wie wir das ändern können? Davon erzählt Köchin, Aktivistin und Autorin Sophia Hoffmann in ihrem neuen und dritten Werk „Zero Waste Küche“.

Ein Koch- und Lesebuch mit drei Kapiteln im typischen Sophia-Stil: kreativ, praktisch, lustig und vielschichtig. Sophia kennt keinen Aufwand, nur Bereicherung. Sie sieht keine Mängel sondern Möglichkeiten. Ihr Optimismus, ihre Offenheit und die Freude daran, ihr Wissen und auch mal ihre Meinung zu politischen und gesellschaftlichen Themen zu teilen, machen Sophia aus – als Menschen und als Macherin. Und genau dafür schätzen wir sie.

Letzte Woche hat Anna im Berliner Café Selig die Launch-Lesung von „Zero Waste Küche“ moderiert und eine Autorin getroffen, die lebt, was sie schreibt und kaum zu stoppen ist. Begeistert von B wie Banane bis Z wie Zwiebel stellte sie Rezepte, Verwendungsmöglichkeiten, Fun Facts und Hidden Skills einer langen Zutatenliste vor, plauderte mit Anna über ihr Leben und ihre Überzeugungen. Und hatte am Ende auch noch Puste, für ein Extra-Interview. Los geht’s:  

Sophia, warum brauchen wir überhaupt ein Buch, dass uns erklärt, wie wir effizient Kochen und Reste verwerten? Konnten das nicht eigentlich unsere Omas schon?

Diverse Faktoren haben dazu geführt, dass wir Deutschen in Bezug auf  Essen dem „Geiz is Geil“-Prinzip folgen: Alles soll so billig wie möglich sein. Erwiesenermaßen sind wir bereit, für Motoröl mehr Geld auszugeben, als für Speiseöl. Bio und artgerechte Tierhaltung finden wir zwar irgendwie wichtig, sind aber nicht bereit dafür mehr zu bezahlen oder unseren Fleischkonsum einzuschränken. Beigetragen zu dieser Entwicklung haben sicherlich die Not und die darauf folgenden Wirtschaftswunderjahre nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen es dann gefühlt plötzlich alles gab. Und natürlich liegt’s auch an der  Werbeindustrie, die jährlich Millionen dafür ausgibt, uns mit der Vorstellung einzulullen, dass unsere Milch von glücklichen Almkühen stammt und dass Fertigprodukte super sind, weil es fürchterlich zeitintensiv und schwierig ist eine Tomatensoße selbst zu kochen…

Welche sind heute die größten Missverständnisse unserer von Werbeversprechen geprägten Ernährungs-Welt?

Ein besonders elementares ist sicherlich, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD). Dabei handelt es sich um ein Gütesiegel, das von Herstellern in Bezug auf Farbe, Geruch, Konsistenz und Geschmack des Lebensmittels selbst festgelegt wird und gegen Reklamationen schützen soll. Identisch mit dem Verbrauchsdatum ist es nicht, wird aber von vielen Konsumenten und Konsumentinnen so gehandhabt. Laut Studienergebnissen ist der Ablauf des MHD mit 43 Prozent einer der Hauptgründe, warum Menschen Essen wegwerfen – obwohl es noch lange gegessen werden können. Joghurt geht noch Monate nach Ablauf des MHD, Senf hält jahrzehntelang. Solange nichts schimmelt oder fault, lässt sich Vieles weiter verspeisen und -verarbeiten. Und selbst Schimmel ist nicht immer schädlich. Wir müssen uns einfach wieder trauen zu schnuppern, so kucken und zu probieren. Im schlimmsten Fall schmeckt etwas nicht mehr, dann kann man es auch mal getrost entsorgen.

Apropos: Was wird am meisten weggeschmissen?

Viel Obst und Gemüse aber auch wahnsinnig viel Brot. Der WWF hat letztes Jahr eine Studie veröffentlicht wonach in Deutschland jede fünfte Backware im Müll landet. Das sind jährlich 1,7 Millionen Tonnen. Und das entspricht der Ernte eines Ackers größer als die Fläche von Mallorca. Eine unglaubliche Ressourcen- und Energieverschwendung, die so für uns und unsere Umwelt nicht mehr tragbar ist! Die Verringerung verschwendeter Nahrungsmittel zusammen mit der Müll-Reduktion ist eine der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit, denen wir uns gesamtgesellschaftlich stellen müssen. Für mehr Gerechtigkeit, Umweltschutz und Nachhaltigkeit.

Bäm! Und dazu trägt Dein Buch bei. Wie lange hast Du daran gearbeitet?

Insgesamt etwa fünf Monate. Oft musste ich mich selbst am Riemen reißen nicht an einem Thema zu sehr hängen zu bleiben, weil die Recherche so ein unheimlich spannender Teil war, ich habe selbst wahnsinnig viel gelernt beim Schreiben dieses Buches.

Was war das Einschneidendste?

Am Verstörendsten war tatsächlich die Recherche zu Fischfang und zu Produkten wie Bananen und Schokolade. Weder war mir das Ausmaß der Zerstörung und Ausrottung durch Meeresfischerei bewusst, noch dass gerade bei konventionellen Bananen und Kakaobohnen Kinderarbeit und moderne Sklaverei riesige Probleme sind. Übrigens auch in der Fischerei. Mein Fazit: Bananen, Kaffee und Schokolade nur noch bio und fairtrade kaufen.

Du selbst lebst vegan, hast schon zwei große Kochbücher ohne tierische Produkte veröffentlicht. Wieso hast Du dich dazu entschieden, in Zero Waste Küche auch Milch, Fleisch und Co. zu thematisieren?

Mir ist es wichtig ein breites Publikum für das Thema zu sensibilisieren. Der Über-Konsum tierischer Produkte schadet nicht nur den Tieren, sondern auch Menschen, die in dieser Industrie ausgebeutet werden, unserer Umwelt und dem Klima. Wir müssen radikal etwas ändern um unseren Kindern eine lebenswerte Zukunft bieten zu können. Ein erster Schritt ist Aufklärung, die zu bewussterem Konsum führen kann.Übersetzt: Joghurt hält wie gesagt weit über das MHD, Schimmel am Käse kann man oft wegschneiden und Eier sind auch länger haltbar als die meisten Menschen glauben: Wenn tierische Produkte, dann bitte achtsam damit umgehen und sich informieren wie sie produziert werden. Und Mythen-Bashing: Fisch in Zeiten von Überfischung und Meeresverschmutzung als gesundes, nachhaltiges Lebensmittel zu propagieren, ist schlichtweg falsch.

Inspiriert und begleitet hat Dich dabei auch Deine eigene Geschichte, oder? Stimmt es, dass Dein Vater am Familientisch früher auch schon mal demonstrativ saure Milch getrunken. Warum?

Ja, meine Eltern erlebten in den 1940er Jahren eine Kindheit, die von der Not der Nachkriegszeit geprägt war. Meine Großmütter sparten sich das Essen für ihre Kinder wortwörtlich vom Mund ab, kochten selbst gesammelten Brennnessel-Spinat, weckten Zwetschgen in Bierflaschen ein weil sie keine Gläser hatten und kochten ihren Kindern Apfelschalen-Tee. Fleisch und Schokolade waren rare Güter, die man als etwas Besonderes schätzte und gut einteilte. So geprägt würden meine Eltern bis heute keinen Bissen wegschmeißen, bei uns zuhause wird alles verwertet. Das mit der sauren Milch ist wirklich passiert. Soweit ich mich erinnern kann, sagte mein Papa danach trotzig: „Schmeckt gar nicht so schlimm“. Trotzdem machte er manchmal lieber Hüttenkäse daraus!

Wertschätzung ist generell ein Wichtiges Thema.

Genau. Für mich ist es während der Arbeit zum Schlüssel geworden.

Gab es auch einen Schlüsselmoment?

Ein Schlüsselmoment waren die Shootings der Header-Bilder für den Info-Teil. Das war im September, mitten in der Haupt-Erntezeit, in der die Natur hierzulande so prachtvoll ist wie selten im Jahreskreis. Es war so eine Freude die wunderschönen Lebensmittel zu erwerben, in Szene zu setzen und anschließend zu verwerten, dass meine Fotografin und ich spürten: Das ist Wertschätzung: Verliebt sein in wertvolle Lebensmittel. Wir hätten am Liebsten gleich einen Fotoband gemacht – nur voll mit schönen Gemüse-Porträts.

Ok, außer Deinem Buch, welche Tools brauche ich zum Anfangen?

Ich empfehle ein paar Werkzeuge, die helfen weniger zu verschwenden: Einen Teigschaber zum Auskratzen von Schüsseln und Töpfen, einen Trichter zum Befüllen von Flaschen und Gläsern und überhaupt genügend Aufbewahrungsgläser und -Boxen, die sowohl für Unterwegs-Essen als auch für Lagerung und Unverpackt-Einkäufe unerlässlich sind. Aber hier muss man nicht auf Anhieb investieren, viele Gläser, in denen man Lebensmittel kauft, lassen sich auch wiederverwenden, mittlerweile beachte ich das auch bei meinen Einkäufen und denke: „Oh, schöne Tomaten-Flasche, da darf später mein Kombucha drin wohnen!“

Wie schön! Und hast Du darüber hinaus in der Küche noch einen Zero Waste Lieblings-Hack?

Pürieren ist immer eine gute Idee: Ob Pesto aus müden Kräutern oder Grünkohl-Stielen, Suppe oder Aufstriche aus Beten, Möhren, Kartoffeln…

Wir haben Hunger! Liebe Sophia, vielen Dank für das Gespräch!

„Zero Waste Küche“ ist erschienen im ZS Verlag mit der ISBN Nummer 978-3-89883-854-2

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Fotos: ©Melanie Hauke

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